Der Gesundheitssektor, dessen Aufgabe es ist, die Gesundheit zu schützen und zu fördern, trägt selbst in enormem Ausmaß zur Klimakrise – der größten Gesundheitsbedrohung des 21. Jahrhunderts – bei und spielt daher eine wichtige Rolle bei der Lösung der Krise. Zu den verursachten Klimaschäden kommen noch andere Auswirkungen des Gesundheitssektors auf die Umwelt, wie z.B. Wasserverschmutzung, Verbrauch wertvoller Ressourcen oder Produktion von Abfällen. Health Technology Assessment (HTA) untersucht die Auswirkungen von Interventionen im Gesundheitswesen in verschiedenen Domänen, wie etwa den Patient*innennutzen, die Budgetfolgen oder organisatorische Auswirkungen. Es ist daher naheliegend, auch unabhängige Informationen zu den Umweltfolgen von Interventionen im Gesundheitswesen als eine Aufgabe von HTA zu verstehen. Das beginnt damit, überhaupt einmal Bewusstsein über die Umweltfolgen von Gesundheitstechnologien zu schaffen. Ein Beispiel ist die roboter-assistierte Chirurgie, die mit 43% höheren Treibhausgasemissionen und bis zu 24% mehr Abfall als die traditionelle Laparoskopie einhergeht. Gleichzeitig ist der zusätzliche Nutzen dieses Verfahrens für Patient*innen je nach Indikation marginal oder gar nicht nachgewiesen.
HTA-Institutionen in anderen Ländern beginnen bereits vereinzelt, das Thema aktiv zu adressieren. Ein Vorreiter ist die kanadische Drug and Health Technology Agency CADTH, die die Bewertung von Umweltfolgen in ihren Strategieplan aufgenommen hat. Das irische Institut HIQA thematisierte Umweltfolgen von Technologien bereits in einigen HTA-Berichten, jüngst etwa in ihrem Bericht zur Organisation der pädiatrischen Stammzellentransplantation. Derzeit beschränkt sich die Darstellung jedoch auf einen kurzen Hinweis auf Umweltfolgen ohne Details oder Quantifizierung.
Wie die Umweltfolgen methodisch erfasst werden sollen, ist noch völlig unklar. Die Möglichkeiten reichen von simplen Hinweisen auf publizierte Informationen ohne deren eingehendere Bewertung, bis zur Analyse und Präsentation von Umweltdaten in einer eigenen zusätzlichen HTA-Domäne (analog zu Darstellung von z.B. ethischen, sozialen oder legistischen Auswirkungen) oder der Integration von Umweltdaten in die Analyse existierender Domänen (z.B. in der Kostenberechnung).
Hersteller und Anwender von Technologien sowie auch Entscheidungsträger und Patient*innen werden künftig nicht umhinkommen, sich mit den Auswirkungen von Interventionen im Gesundheitssystem auf Klima und Umwelt auseinanderzusetzen. Diese Debatte wird herausfordernd. Wie sollen wir etwa damit umgehen, wenn eine neue Technologie für heutige Patient*innen einen marginalen Zusatznutzen hat, aufgrund der Umweltfolgen aber auf Kosten der Gesundheit zukünftiger Generationen erbracht wird? Sollen wir Technologien, die zwar keinen gesundheitlichen Mehrwert, aber geringere Umweltschäden mit sich bringen, mit höheren Preisen „belohnen“ (z.B. Mehrwegprodukte in der Diabetesbehandlung)? HTA sollte diese Debatte mit objektiven Informationen unterstützen. Dazu braucht es einen dringenden Methodendiskurs in der HTA-Community, aber auch die Bereitschaft der Auftraggeber von HTA-Berichten, die nötigen zeitlichen Ressourcen und die Relevanz des Themas anzuerkennen und den Willen der Hersteller, Daten über Ressourcenverbräuche bei der Produktion und Nutzung ihrer Technologien bereitzustellen.
Dr. Ingrid Zechmeister-Koss, stellvertretende Institutsleiterin der HTA Austria – AIHTA GmbH
Referenzen
CADTH. 2022. Ahead of the Curve: Shaping Future-Ready Health Systems. 2022-2025 Strategic Plan. https://strategicplan.cadth.ca/wp-content/uploads/2022/03/cadth_2022_2025_strategic_plan.pdf.
Health Care Without Harm. 2019. Health Care’s Climate Footprint. How the Health Sector Contributes to the Global Climate Crisis and Opportunities for Action. https://noharm-global.org/documents/health-care-climate-footprint-report.
Health Information and Quality Authority (HIQA). 2023. Repatriation of paediatric haematopoietic stem cell transplant services to Ireland: a Health Technology Assessment. https://www.hiqa.ie/reports-and-publications/health-technology-assessment/hta-repatriation-paediatric-haematopoietic.
Papadopoulou et al. 2023. Environmental sustainability in robotic and laparoscopic surgery: systematic review. BJS 109 (10), 921-932. https://doi.org/10.1093/bjs/znac191.
AIHTA/AT 2023: Roboterassistierte Chirurgie: Eine systematische Übersichtsarbeit zu Wirksamkeit und Sicherheit in der Thorax- und Viszeralchirurgie. HTA Projektbericht Nr. 108/ Update 2023. https://eprints.aihta.at/1461/.
Toolan et al. 2023. Environmental impact assessment in health technology assessment: principles, approaches, and challenges. International Journal of Technology Assessment in Health care. 39 (1), e13, 1-4. https://doi.org/10.1017/S0266462323000041
Insgesamt konnten für das Update (2023) des Berichts 2019 durch die systematische Literatursuche 20 randomisierte kontrollierte Studien (n=4.207 Patient*innen) und fünf Follow-up Publikationen zu neun (Lobektomie, Antireflux/Fundoplikatio, Ösophagektomie, Gastrektomie, Kolektomie, Rektumresektion, ventrale Rektopexie, Hernienreparatur und Hepatektomie) von 14 untersuchten medizinischen Verfahren identifiziert werden. In der Mehrheit der Studien wurden die relevanten Endpunkte entweder nicht berichtet, gemessen oder zeigten keine statistisch signifikanten Unterschiede. Hinsichtlich einiger Endpunkte (z.B. Blutverlust, Lebensqualität) wiesen roboterassistierte Eingriffe für ausgewählte Indikationen Vorteile auf, wobei diese Ergebnisse nur von wenigen Studien mit geringer Evidenzqualität gezeigt wurden. Widersprüchliche Evidenz konnte hingegen im Falle der Operationszeit identifiziert werden.
Eine allgemeine Aussage zur Wirksamkeit und Sicherheit von RAS war angesichts der heterogenen Ergebnisse und des Mangels an Evidenz für eine Vielzahl an Studienendpunkten nicht möglich. Des Weiteren konnte die Mehrzahl der extrahierten Ergebnisse die potenziellen Vorteile roboterassistierter Verfahren nicht belegen. MR/NG
AIHTA/AT 2023: Roboterassistierte Chirurgie: Eine systematische Übersichtsarbeit zu Wirksamkeit und Sicherheit in der Thorax- und Viszeralchirurgie. HTA Projektbericht Nr. 108/ Update 2023. https://eprints.aihta.at/1461/.
AIHTA/AT 2019: Roboterassistierte Chirurgie bei Indikationen im Bereich des Thorax und des Bauchraumes. HTA Projektbericht Nr. 108. https://eprints.aihta.at/1198/.
Die Bewertung basierte auf dem sogenannten „Submission Dossier“, einem Informationsdokument, das vom Hersteller zur Verfügung gestellt wird. Die Bewertung erfolgte anhand von zwei Studien (ein RCT und eine Fallserie). Das RCT (n=134 Patient*innen mit chronischen Rückenschmerzen) verglich Open-Loop- und Closed-Loop-SCS. In beiden Studienarmen kam das Evoke™-SCS-System zum Einsatz - nur der Programmiermodus variierte. Ein Wechsel zwischen den Modi war weder für Patient*innen noch für Ärzt*innen möglich. Allerdings bestehen Unsicherheiten, ob die verwendeten Open-Loop-SCS überhaupt mit der neuesten Generation der SCS-Systeme vergleichbar sind, da das Submission Dossier die technischen Eigenschaften des Open-Loop-Modus nicht ausführlich genug beschreibt. Ein statistisch signifikanter Unterschied zeigte sich nur beim Primärendpunkt, definiert durch eine Reduktion der Schmerzen um mindestens 50% (Rumpf- und Gliederschmerz) und keine Erhöhung der Schmerzmedikation im Vergleich zur Ausgangsbasis innerhalb von 4 Wochen.
Die (stimulationsbedingten) sicherheitsrelevanten Ereignisse lagen bei 6% in der Closed-Loop-SCS Gruppe und bei 4% in der Open-Loop-SCS Gruppe. In der Fallserie traten keine stimulationsrelevanten Ereignisse auf. Im RCT erlitten allerdings 67% der Patient*innen in beiden Gruppen ein unerwünschtes (AE) und 15 bzw. 12% ein schwerwiegendes (SAE) Ereignis. In der Fallserie waren es 80% für unerwünschte und 23% für schwerwiegende Ereignisse. Sicherheitsdaten aus dem RCT waren bis zu einem Zeitraum von 16 Monaten verfügbar, während die Fallserie längere Nachbeobachtungsdaten enthielt.
Empfehlungen im Kontext eines JCA werden grundsätzlich nicht gegeben. Es verbleibt den einzelnen EU-Mitgliedstaaten, den JCA in ihren nationalen Bewertungen zu nutzen und dabei eigene Schlussfolgerungen im Hinblick auf ihr spezifisches Gesundheitssystem zu ziehen. JE
EUnetHTA 21/ EU 2023: JCAMD002. Evoke Spinal Cord Stimulation System. https://www.eunethta.eu/wp-content/uploads/2023/08/EUnetHTA-21-JCAMD002-25.08.2023_V1.1.pdf.
Laut KCE sollte ein ideales Instrument zur Beurteilung von Palliativpatient*innen einfach anwendbar, auf wissenschaftlichen Ergebnissen beruhend, flexibel, sowie schnell umsetzbar sein. Derzeit existiert in Belgien ein offizielles Instrument, welches Palliativpatient*innen als solche identifiziert (PICT-1), jedoch keinen Zugang zu verfügbaren Hilfsangeboten gewähren kann. Ein weiteres Instrument (PICT-2) soll zwischen verschieden Ebenen von Patient*innenbedürfnissen unterscheiden, ist jedoch nicht für die Bewilligung von Sozialversicherungsansprüchen geeignet. Die untersuchten Strategien anderer Länder gestalten sich laut KCE sehr heterogen und sind teilweise auf die jeweiligen Länder zugeschnitten, weshalb sich keine einheitliche Lösung ableiten lässt. Des Weiteren konnten einige zusätzlichen Erkenntnisse gewonnen werden: Zum einen, können die Bedürfnisse von Palliativpatient*innen nicht bewertet werden, ohne gleichzeitig die Bedürfnisse ihrer Angehörigen zu betrachten. Zum anderen wird die derzeitig angebotene Unterstützung als wertvoll erachtet und sollte somit beibehalten und wenn möglich ausgeweitet werden.
Schlussendlich kann laut KCE keine optimale Strategie empfohlen werden: Trotzdem muss sich das derzeitige System, das sich nach dem Überleben der Patient*innen und der subjektiven Bewertung von Ärzt*innen (Einschätzung einer Lebenserwartung von drei Monaten) richtet, ändern. Dafür stellt das KCE zwei mögliche Lösungsvorschläge vor: Entweder könnte eines der in Belgien bereits bestehenden Instrumente adaptiert oder ein vollkommen neues, auf Belgien zugeschnittenes Modell erstellt werden. JK
KCE/BE 2023: Palliative care - an exploratory study of categorisation tools based on patients’ needs and their value for entitlement. Health Services Research (HSR). KCE Reports 367C. https://kce.fgov.be/en/publications/all-reports/palliative-care-an-exploratory-study-of-categorisation-tools-based-on-patients-needs-and-their-value.
Insgesamt schloss das IQWiG 20 randomisierte Kontrollstudien (n=30.085 Patient*innen) für die Bearbeitung von zwei Fragestellungen ein: Die erste Fragestellung behandelte dabei die Nutzenbewertung von Diagnosestrategien mit einer CCTA im Vergleich zu Diagnostik mit demselben Ziel, aber ohne Einsatz der CCTA (z. B. Belastungs-EKG oder Stress-Echokardiografie oder auch invasive Koronarangiografie, ICA). Die zweite Fragestellung überprüfte den Nutzen von Diagnosestrategien mit einer CCTA und mit der Option einer zusätzlichen CT-basierten funktionellen Beurteilung des Blutdurchflusses durch das Herz im Vergleich zu diagnostischen Strategien (ggf. auch CCTA) ohne diese zusätzliche Option. Als patient*innenrelevante Endpunkte galten Mortalität, Morbidität, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Nebenwirkungen.
Im Vergleich mit funktionellen Verfahren ergaben sich laut IQWiG klare Vorteile zugunsten der Diagnosestrategie mit CCTA (invasive Diagnostik seltener notwendig, weniger Herzinfarkte) bei nur wenigen langfristigen Nachteilen (z.B. bei instabiler Angina Pectoris). Noch deutlicher zeigten sich die Vorteile der CCTA (invasive Diagnostik seltener notwendig, weniger Schlaganfälle und SAEs) gegenüber der ICA. Für die CT-basierte Messung der fraktionellen Flussreserve und die CT-basierte Messung der myokardialen Perfusion als Zusatzoption konstatierte das IQWiG – in Anbetracht von mehr Herzinfarkten und erhöhter Strahlenbelastung – keinen Zusatznutzen. OS
IQWiG/DE 2023: Computertomografie-Koronarangiografie mit oder ohne funktionelle Beurteilung zur Diagnose einer chronischen koronaren Herzkrankheit. IQWiG-Berichte – Nr. 1570. https://www.iqwig.de/download/d22-01_ct-koronarangiografie-zur-khk-diagnose_abschlussbericht_v1-1.pdf.
08. bis 11. November 2023
16th European Public Health Conference 2023
“Our Food, Our Health, Our Earth : A Sustainable Future for Humanity”
Dublin
https://ephconference.eu/2023-conference-themes-dublin-334
13. bis 15. März 2024
EbM-Kongress 2024
“Evidenzbasierte Politik und Gesundheitsversorgung – erreichbares Ziel oder Illusion?”
Berlin
https://www.ebm-kongress.de/einladung-2024/
15. bis 19. Juni 2024
HTAi
"A Turning Point for HTA? Sustainability, Networks and Innovation"
Sevilla
Bildgesteuerte Infiltration
Biomarker: Alzheimer und Parkinson
Roboter-unterstützte Rehabiliation
IHE-Policy Lever
Impressum
Redaktion: Claudia Wild/ CW, Ozren Sehic/OS
JE: Judit Erdös
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MR: Michaela Riegelnegg
NG: Nicole Grössmann-Waniek
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