Die systematische Bewertung von Gesundheitstechnologien hat sich in vielen EU-Ländern längst als zentraler Bestandteil evidenzbasierter Entscheidungsfindung etabliert. Dabei haben sich zunehmend internationale Kooperationen entwickelt. Auch das AIHTA blickt auf eine langjährige Beteiligung an der europäischen HTA-Zusammenarbeit zurück – beginnend mit der Mitgründung des EUnetHTA-Netzwerks im Jahr 2006 bis hin zur aktiven Mitgestaltung im Rahmen des Übergangsprojekts EUnetHTA21. Diese breite europäische Kooperation mündete schließlich in der Verordnung (EU) 2021/2282, die seit Jänner 2025 verpflichtend anzuwenden ist.
Nun wurden erste gemeinsame klinische Bewertungen für neue Krebstherapien parallel zum Zulassungsprozess der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) eingeleitet. Damit rückt ein lang verfolgtes Ziel in greifbare Nähe: qualitativ hochwertige klinische Bewertungen, die auf EU-Ebene erstellt werden, bereits kurz nach der Zulassung zur Verfügung stehen und so den Mitgliedstaaten als wichtige Grundlage für nationale Erstattungsentscheidungen dienen.
Ein wichtiger Schritt bei der Umsetzung der EU-HTA-Verordnung in Österreich war die Etablierung des Bewertungsboards für hochpreisige und spezialisierte Arzneimittel im intramuralen Bereich, aber auch an der Schnittstelle zwischen intra- und extramuralem Bereich. Dadurch können die europäischen klinischen Bewertungen zukünftig in Österreich gezielter verwendet werden und so den Zugang zu wirksamen und sicheren Technologien für Patient:innen sicherstellen sowie die qualitätsgesicherte Patient:innenversorgung in Krankenanstalten unterstützen.
Gleichzeitig ist die Implementierung der EU-HTA-Verordnung mit Herausforderungen verbunden. Es reicht nicht aus, nur gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen – entscheidend wird sein, wie effektiv die neuen Strukturen in der Praxis funktionieren. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen der nationalen HTA-Institution, politischen Entscheidungsträgern sowie weiteren relevanten Akteuren und die frühe Einbindung medizinischer Expert:innen und Patient:innen. Bestehende Prozesse müssen angepasst, neue Mechanismen entwickelt und Synergien effizient genutzt werden, um den Mehrwert der gemeinsamen klinischen Bewertungen auf EU-Ebene in die nationale Erstattungspolitik zu übertragen, ohne dabei an Effektivität und Geschwindigkeit zu verlieren.
Der Start der ersten Verfahren zeigt: Die gemeinsame europäische und wissenschaftlich fundierte Gesundheitstechnologiebewertung ist keine Zukunftsvision mehr, sondern Realität. Für Österreich bedeutet das nicht nur eine stärkere Verankerung von Evidenz und Transparenz in Entscheidungsprozessen, sondern auch die Möglichkeit, die eigene HTA-Strategie weiterzuentwickeln und aktiv mitzugestalten.
Die Weichen sind gestellt – nun liegt es an uns, die nächsten Schritte entschlossen und verantwortungsvoll zu gehen und Österreichs HTA-Landschaft zukunftsfähig auszurichten. Das AIHTA wird sich daran aktiv und tatkräftig beteiligen.
Dr. scient. med. Sabine Geiger-Gritsch – Stellvertretende Institutsleiterin am Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA)
Europäische Kommission (EC)/EU 2025: Durchführung der Verordnung über die Bewertung von Gesundheitstechnologien (Health Technology Assessment – HTA). https://health.ec.europa.eu/health-technology-assessment/implementation-regulation-health-technology-assessment_de.
Das Berechnungstool vergleicht das einfache Rabattmodell (Vorauszahlungen) mit innovativen Zahlungsmodellen – etwa ergebnisbasierte Modelle mit verteilten Zahlungen und Rabatten. Es analysiert die Kosten in Euro und den Nutzen in qualitätsadjustierten Lebensjahren (QALYs) für drei Szenarien: positiv (alle Patient:innen sprechen besser an als erwartet), Basisfall (Ansprechen gemäß Annahmen) und negativ (schlechteres Ansprechen als erwartet). Zur Demonstration wurden drei Fallstudien verwendet: Onasemnogene Abeparvovec (Zolgensma®), Brexucabtagene Autoleucel (Tecartus®) und Etranacogene Dezaparvovec (Hemgenix®). Die Ergebnisse zeigen, dass unterschiedliche klinische Unsicherheiten und finanzielle Herausforderungen zu unterschiedlichen optimalen Erstattungsmodellen führen. Für Onasemnogene Abeparvovec und Etranacogene Dezaparvovec, bei denen erhebliche klinische Unsicherheiten bestehen, könnten ergebnisbasierte Modelle mit verteilten Zahlungen vorteilhaft sein. Für Brexucabtagene Autoleucel, wo die klinischen Unsicherheiten die Erstattungsentscheidung weniger beeinflussen, könnte ein einfaches Rabattmodell ausreichen. Zur erfolgreichen Implementierung ergebnisbasierter Erstattungsmodelle braucht man geeignete Ergebnisparameter, eine funktionierende Dateninfrastruktur und einen realistischen Zeitrahmen. Der Zeitrahmen sollte lang genug für eine zuverlässige klinische Bewertung sein, aber idealerweise nicht länger als fünf Jahre.
Das vorgestellte Framework bietet Entscheidungsträgern Einblick in die finanziellen Konsequenzen verschiedener Zahlungsmodelle unter verschiedenen Annahmen und kann Erstattungsverhandlungen unterstützen. Diese Arbeit wurde von der Division of Pharmacoepidemiology and Clinical Pharmacology des Utrecht Institute for Pharmaceutical Sciences (UIPS) der Universität Utrecht in Zusammenarbeit mit dem niederländischen National Health Care Institute (ZIN) durchgeführt. DF
Division of Pharmacoepidemiology and Clinical Pharmacology, Utrecht Institute for Pharmaceutical Sciences (UIPS)/ NL 2024: Managed Entry Agreements for High-Cost, One-Off Potentially Curative Therapies: A Framework and Calculation Tool to Determine Their Suitability. https://link.springer.com/article/10.1007/s40273-024-01433-4.
Im Rahmen einer retrospektiven Analyse wurden NICE-Bewertungen („Technology Appraisals“) für neue Medikamente in England aus den Jahren 2000 bis 2020 ausgewertet. Erfasst wurden Kosten-Nutzwert-Verhältnisse (ICER = „Incremental Cost-Effectiveness Ratio“) und Gesundheitsgewinne in qualitätsadjustierten Lebensjahren (QALYs). Zwar ergaben sich insgesamt 3,75 Mio. QALYs durch den Einsatz neuer Arzneimittel, doch unter Berücksichtigung der Opportunitätskosten – bezogen auf NHS-Ausgaben in Höhe von £ 75,1 Mrd. (€ 86,8 Mrd.) – hätte eine alternative Mittelverwendung theoretisch einen Zuwachs von 5 Mio. QALYs ermöglichen können. Dies entspricht einem Nettoverlust von 1,25 Mio. QALYs für die Bevölkerung. Zudem stiegen die mittleren ICER-Werte von £ 21.545 (€ 24.914) pro QALY (2000-2004) auf £ 28.555 (€ 33.020) pro QALY (2015-2020) an, mit signifikanten Unterschieden zwischen Therapiegebieten: Während in der Onkologie durchschnittlich £ 30.000 (€ 34.691) pro QALY erreicht wurden, lagen die Werte bei Antiinfektiva bei lediglich £ 6.478 (€ 7.491). Als Hauptursache für die steigenden ICERs identifizieren die Autor:innen die Preissetzungsstrategien der pharmazeutischen Industrie: Disproportional hohe Preise bei begrenztem Zusatznutzen untergraben systematisch die Kosten-Effektivität neuer Therapien.
Zusammenfassend zeigt die Studie, dass die Finanzierung neuer Medikamente durch das NHS zwischen 2000 und 2020 insgesamt zu einem negativen Nettoeffekt auf die Bevölkerungsgesundheit führte. Die Ergebnisse verdeutlichen die Zielkonflikte zwischen Patient:innen, die individuell von neuen Therapien profitieren, und jenen, die aufgrund der Umverteilung von Ressourcen möglicherweise Nachteile erfahren. Neue Medikamente können zwar individuelle Vorteile bringen, sind allerdings insgesamt mit mehr verlorenen als gewonnenen Lebensjahren verbunden. Die Zahlung hoher Preise für neue Arzneimittel kann sich somit nachteilig auf die Gesundheit der Gesamtbevölkerung auswirken. Ein erheblicher Widerstand kommt aus der Industrie, da eine Senkung der entscheidungsrelevanten Schwellenwerte – aktuell £ 20.000-30.000 (€ 23.127-34.691) pro QALY – zu geringeren Preisen und damit zu reduzierten Gewinnen der Unternehmen führen würde. CS
Naci H et al./ UK 2025: Population-health impact of new drugs recommended by the National Institute for Health and Care Excellence in England during 2000–20: a retrospective analysis. Lancet 2025; 405: 50–60 https://doi.org/10.1016/S0140-6736(24)02352-3.
Die Studie identifizierte zwischen 2019 und 2021 insgesamt 1,6 Mio. Patient:innen, die mindestens eine Low-Value-Leistung erhielten. Von 10,6 Mio. evaluierten Leistungen wurden jährlich durchschnittlich 1,1 Mio. Fälle (10,4%) in der breiten und 0,43 Mio. Fälle (4,0%) in der engen Definition als Low-Value Care klassifiziert. Die drei häufigsten Indikatoren – Antibiotika bei Atemwegsinfektionen, freie T3/T4-Bestimmung bei Hypothyreose und Benzodiazepine für ältere Personen – machten 82% aller gemessenen Low-Value-Care-Leistungen aus. Die identifizierten Leistungen verursachten im ambulanten Sektor direkte jährliche Kosten von etwa 15,5 Mio. Euro (breite Definition) bzw. 9,9 Mio. Euro (enge Definition).
Bei der Analyse der demografischen Verteilung zeigte sich, dass ein erheblicher Anteil unangemessener Versorgung bei Personen mittleren Alters auftritt, wobei z.B. 72% der unangemessenen Antibiotikaverschreibungen bei Atemwegsinfektionen Patient:innen unter 50 Jahren betrafen. Frauen waren insgesamt häufiger von den identifizierten ambulanten Low-Value-Leistungen bzw. Low-Value Care betroffen (60,7% aller Fälle). Innerhalb der Indikatoren gab es unterschiedliche Verteilungen von Alter, Geschlecht und den überweisenden Facharztgruppen. Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit gezielter Interventionen zur Reduktion von Low-Value Care und bieten eine Grundlage für weiterführende Studien zu deren Determinanten sowie strukturellen und finanziellen Auswirkungen. GG
Pioch et al./ DE 2025: Selecting indicators for the measurement of low-value care using German claims data: A three-round modified Delphi panel. PLoS One. 2025;20(2). https://doi.org/10.1371/journal.pone.0314864.
>Hildebrandt et al./ DE 2024: Quantifying Low-Value Care in Germany: An Observational Study Using Statutory Health Insurance Data From 2018 to 2021. Value in Health. November 20, 2024. https://doi.org/10.1016/j.jval.2024.10.3852.
Aufgrund der hohen Transaktionskosten durch HTA-Neubewertungen sollten nur Ereignisse mit erwarteten erheblichen Gesundheitsvorteilen oder Kosteneinsparungen eine Neubewertung auslösen. Die Priorisierung sollte sich an den Netto-Gesundheitseffekten (NHEs) auf Bevölkerungsebene orientieren – also den Gesundheitseffekten abzüglich der Opportunitätskosten der Finanzierung. Neubewertungsansätze reichen von Multi-Stakeholder-Prozessen bis zu flexiblen Vertragsklauseln, die Erstattungen an Vergleichspreise koppeln. Zwar identifizieren Kosteneffektivitätsanalysen meist eine optimale Intervention, doch kann die Empfehlung mehrerer Optionen vorteilhaft sein – um besser auf Heterogenität und Präferenzen der Patient:innen einzugehen, regionale Unterschiede zu berücksichtigen, Preiswettbewerb zu fördern, Preissenkungen zu ermöglichen und Anreize für Innovation zu schaffen. Bei mehreren Vergleichspräparaten müssen Entscheidungsregeln angepasst werden, um eine Verschlechterung der Bevölkerungsgesundheit zu verhindern. NHEs eignen sich hier besser als inkrementelle Kosten-Effektivitäts-Verhältnisse zur Reihung und Bewertung. Der Kosteneffektivitätsschwellenwert sollte die gesundheitlichen Opportunitätskosten nicht übersteigen. Die „Dixon-Regel“ ermöglicht zudem die Wahl nicht nur der kosteneffektivsten, sondern auch einer günstigeren, wenn auch weniger wirksamen Alternative.
Darüber hinaus empfiehlt das Framework, ausgefeilte Ansätze für die Preisgestaltung zu entwickeln, da die Annahme fester Konkurrenzpreise in diesem Umfeld nicht zutrifft. Für Hersteller könnte z.B. ein effizienterer Prozess etabliert werden, bei dem Preisvorschläge erst nach abgeschlossener Evidenzbewertung und Bestimmung der qualitätsadjustierten Lebensjahre eingereicht werden. Zusammenfassend sollten zeitnahe, evidenzbasierte Neubewertungen nach Markteinführung zur Norm werden, um den Nutzen aus Arzneimittelausgaben zu maximieren. Das Framework bietet einen strukturierten Weg, benötigt jedoch zusätzliche analytische Kapazitäten und politischen Willen für Änderungen bei Preis- und Erstattungsgestaltung. DS
Woods et al./ UK 2025: Framework for Using Cost-effectiveness Analysis to Support Pricing and Reimbursement Decisions for New Pharmaceuticals in a Context of Evolving Treatments, Prices, and Evidence. PharmacoEconomics 43, 363–373. https://doi.org/10.1007/s40273-024-01450-3.
14. bis 16. Juni 2025
HTAi 2025
„NextGen Evidence: Diversifying and Advancing HTA to Meet Global Demands“
Buenos Aires
https://htai.org/event/htai-2025-annual-meeting-in-buenos-aires-argentina-2/
24.Juni 2025
IQWiG im Dialog
„Vertrauenswürdigkeit von Beobachtungsdaten“
Köln
https://www.iqwig.de/veranstaltungen/iqwig-im-dialog/
Umfrage: Forschungsprojekt 4D-PICTURE
Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse tragen entscheidend dazu bei, die gemeinsame Entscheidungsfindung bei der Behandlung von Krebspatient*innen zu verbessern.
Im Rahmen des Forschungsprojekts 4D-PICTURE (https://4dpicture.eu) an der UMIT TIROL Private Universität für Gesundheitswissenschaften und -technologie wird eine Umfrage unter Fachkräften im österreichischen Gesundheitswesen durchgeführt. Dazu zählen Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen, Psycholog*innen, Ernährungsberater*innen, Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut*innen, Pharmazeut*innen.
Ziel des Projekts und der einhergehenden Umfrage) ist es, gemeinsam mit Krebspatient*innen die Versorgung und Behandlungsoptionen für Krebspatient*innen zu verbessern.
Im 4D Picture Projekt arbeiten Expert*innen und Forscher*innen aus Österreich und sieben weiteren europäischen Ländern gemeinsam daran, Krebspatient*innen, ihre Angehörigen sowie Fachkräfte im Gesundheitswesen bei der Auswahl von Behandlungsmöglichkeiten durch die Entwicklung von personalisierten, datengesteuerten Instrumenten für Krebspatient*innen besser zu unterstützen. Dabei sollen persönliche Präferenzen in der Behandlung sichergestellt und respektiert werden.
Ihre Teilnahme an der anonymen Online-Umfrage hilft, die Entscheidungsfindung im Behandlungsverlauf zu optimieren. Die Befragung dauert nur 10-15 Minuten und ist selbstverständlich anonym.
Sie können direkt hier teilnehmen: https://esurvey.erasmusmc.nl/4dpicture/ls/index.php?r=survey/index&sid=376763&lang=de
Impressum
Redaktion: Ingrid Zechmeister-Koss/ IZ, Ozren Sehic/OS
CS: Christoph Strohmaier
DF: Daniel Fabian
DS: Diana Szivakova
GG: Gregor Götz