Als eine zentrale Maßnahme der Gesundheitsreform wurde im September 2024 in Österreich das Bewertungsboard eingerichtet. Die Geschäftsstelle befindet sich im Gesundheitsministerium. Die Aufgabe des 26-köpfigen Boards ist es insbesondere, Anwendungsempfehlungen für hochpreisige bzw. spezialisierte Arzneimittel zu erstellen, die im Krankenhaus oder an der Schnittstelle zum niedergelassenen Bereich verabreicht werden.
Nach einem halben Jahr Erfahrung und vier Evidenzanalysen können wir als AIHTA eine sehr erfreuliche Bilanz ziehen. Zum ersten Mal werden für Spitalsmedikamente österreichweit einheitliche umfassende Evidenzanalysen nach internationalen HTA-Standards erstellt. Diese liefern Informationen zu zahlreichen entscheidungsrelevanten Aspekten rund um das jeweilige Arzneimittel. Sie beschreiben das Krankheitsbild, bisherige Behandlungsmöglichkeiten, die Entwicklungskosten, Eigenschaften, Erwartungen und Anwendung der ausgewählten neuen Arzneispezialität, den klinischen Zusatznutzen und die Sicherheit im Vergleich zu den bestehenden Behandlungsalternativen inklusive der bestehenden Unsicherheiten sowie der budgetären, organisatorischen, sozialen und ethischen Auswirkungen. Standardmäßig ist auch eine Kosteneffektivitätsanalyse vorgesehen, die von den Unternehmen vorzulegen ist. Kleine Kritik am Rande: Diese wurden bei den ersten drei abgeschlossenen Bewertungen nicht übermittelt. Somit fehlten wichtige Informationen zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit.
Wie vorgesehen, wurden Patientenvertreter:innen und Kliniker:innen systematisch in die Erstellung der HTAs eingebunden. Dadurch konnten die Perspektive der Patient:innen, die Praxisrelevanz und die klinische Expertise explizit berücksichtigt werden. Im Unterschied zur bisherigen Situation können nun auf Basis des HTAs einheitliche Anwendungsempfehlungen für alle Patient:innen in Österreich erstellt werden – unabhängig davon, ob sie am Bodensee oder Neusiedlersee wohnen. Auch Preisverhandlungen können nun zentral geführt werden. Ungleiche Information zwischen den Verhandler:innen – ein essenzieller Faktor für Marktversagen im Gesundheitssystem und eine der wesentlichen Ursachen für Ineffizienzen – werden mit den einmalig aufbereiteten und für alle zugänglichen Fakten reduziert. Das stellt eine zentrale Voraussetzung für eine faire Verhandlungssituation dar.
Ein weiterer Vorteil: Die verantwortlichen Kosten- und Krankenanstaltenträger werden gezielt auf die Implementierung hochkomplexer neuer Therapien, die oft besondere Logistik, Kapazitäten und Spezialist:innen erfordern, vorbereitet. Nicht zuletzt wird ein wesentlicher Fortschritt in der Transparenz erreicht, da sowohl die Anwendungsempfehlungen als auch die HTA-Berichte veröffentlicht werden.
Bei Therapien, die nicht selten mit Behandlungskosten pro Patient:in in Millionenhöhe einhergehen, ist es aus unserer Sicht essenziell und auch ethisch geboten, Entscheidungen auf Basis fundierter Informationen zu treffen. Die sorgfältige Prüfung bedeutet kein Vorenthalten von Therapien, sondern verantwortungsvolles Handeln im Sinne der Solidargemeinschaft. Entgegen der im Vorfeld der Einführung verbreiteten Behauptung, das Bewertungsboard verzögere den Zugang zu Innovationen, zeigen die ersten Erfahrungen ein anderes Bild: Sowohl die HTA-Berichte als auch die gesamten Bewertungsboard-Prozesse wurden zum Teil noch vor der Zulassung oder Markteinführung dieser Therapien, jedenfalls aber zeitnah danach, abgeschlossen.
Nach einem halben Jahr Erfahrung lässt sich aus Sicht des AIHTA sagen: Die Erstellung qualitativ hochwertiger HTAs nach internationalen Standards ist angesichts der zeitlichen Rahmenbedingungen eine große Herausforderung – die Investition macht sich jedoch durch den Mehrwert, den qualitätsvolle Bewertungsunterlagen schaffen, mehr als bezahlt. Es bleibt zu hoffen, dass die Unternehmen künftig auch noch ihrer Verpflichtung nachkommen werden, aussagekräftige Wirtschaftlichkeitsanalysen zu liefern, um die Gesamtbewertung abrunden zu können.
Dr. rer. soc. oec. Ingrid Zechmeister-Koss – Geschäftsführerin des Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA)
Erratum: Die korrekte Anzahl der Bewertungsboard-Mitglieder ist 25
Fidanacogene elaparvovec (BEQVEZ®) ist die zweite in Europa zugelassene Gentherapie zur Behandlung von schwerer und mittelschwerer Hämophilie B und wird als Advanced Therapy Medicinal Product (ATMP) klassifiziert. In einer Budget-Impact-Analyse wurde der Preis auf rund 3,4 Millionen Euro pro Verabreichung geschätzt.
In einer einarmigen Phase-3-Studie (BENEGENE-2, n=45) zeigte sich bei den Studienteilnehmer:innen im Vergleich zu deren bisheriger Therapie eine Reduktion der jährlichen Blutungsrate um 71 %. Die Wirkung blieb bis zu 48 Monate erhalten. Bei 84 % der behandelten Patient:innen traten Nebenwirkungen auf, 16 % davon waren schwerwiegend. Als relevante methodische Einschränkungen der Studie wurden die kurze Nachbeobachtungszeit, das Fehlen einer Kontrollgruppe sowie Änderungen des primären Endpunkts während der Studie identifiziert. Die im Rahmen des HTA-Berichts befragten Patient:innen erhofften sich durch die einmalig intravenöse Verabreichung des Arzneimittels eine Verbesserung ihrer Lebensqualität, zeigten sich aber auch besorgt in Bezug auf die langfristige Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen. Fazit des Berichts: Patient:innen sollten die Infusion nur in spezialisierten Zentren mit anschließender Überwachung in lokalen Einrichtungen und einer verpflichtenden Nachbeobachtung erhalten.
Während des laufenden Bewertungsprozesses wurde durch Medienberichte die Beendigung der Entwicklung sowie der internationalen Vermarktung des Produkts bekannt. Aus diesem Grund brach das Bewertungsboard den Bewertungsprozess ohne Empfehlung ab. Der HTA-Bericht lag zu diesem Zeitpunkt schon vor und wurde veröffentlicht.
AIHTA/AT 2025: Fidanacogene elaparvovec, BEQVEZ® zur Behandlung von schwerer und mittelschwerer Hämophilie B. AIHTA Appraisal Board Assessment Nr.: 002. https://eprints.aihta.at/1558.
Die Gesundheitssysteme sind mit einem Paradoxon konfrontiert: Während sie darauf abzielen, Krankheiten vorzubeugen und zu heilen, sind sie gleichzeitig auch maßgeblich an der Zerstörung der Umwelt beteiligt. So ist der Gesundheitssektor für etwa 5 % der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich. Zu den schädigenden Faktoren zählen u. a. umweltbeständige Arzneimittel, die Ausweitung antimikrobieller Resistenzen, „E-Müll“ (wie z. B. elektronische Geräte und Mikroprozessoren) sowie potenzielle Schädigungen durch Nanomaterialien.
Die Bewertung ökologischer Auswirkungen kann – neben der klinischen Wirksamkeit, der Sicherheit sowie den wirtschaftlichen, sozialen, ethischen und rechtlichen Aspekten – ein Bestandteil von Health Technology Assessments sein, wenngleich Umweltaspekte bisher selten adressiert werden. Environmental Impact Assessments (EIA) können den gesamten Lebenszyklus von Gesundheitstechnologien betreffen – von der Beschaffung der Rohmaterialien, über die Produktion und gesamte Lieferkette bis hin zur Abfallentsorgung bzw. dem Recycling. Die Bewertung der Umweltverträglichkeit stellt derzeit für HTA-Agenturen zumeist noch eine große Herausforderung dar und macht auch neue Ansätze im Bewertungsrahmen und der Methodik erforderlich. Das Weißbuch liefert dazu Anregungen und stellt Modelle guter Praxis vor.
Für die gesundheitspolitisch Verantwortlichen bringt die Bewertung der Umweltverträglichkeit im Rahmen von HTAs einige Vorteile: Es hilft ihnen dabei, Klimaziele zu erreichen und kann ihnen auch Grundlagen liefern, um umweltschädigende Technologien aus den Leistungskatalogen zu entfernen. So hat etwa das NHS (UK) zuletzt ein weit verbreitetes Inhalationsanästhetikum durch umweltfreundlichere Alternativen ersetzt.
INAHTA/ 2025: INAHTA White Paper on Advancing Environmental Sustainability Through HTA [white paper]. International Network of Agencies for Health Technology Assessment. https://www.inahta.org/download/inahta-white-paper-on-eia/?wpdmdl=16481.
Die erste Bewertung betrifft eine Krebstherapie für Kinder. Das Arzneimittel zur Behandlung des pädiatrischen niedriggradigen Glioms wird vom National Centre for Pharmacoeconomics (NCPE, Irland) und vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG, Deutschland) bewertet. Beim zweiten Arzneimittel handelt es sich um eine Therapie zur Behandlung von fortgeschrittenem Melanom. Das HTA wird von der französischen Gesundheitsbehörde (HAS) und der polnischen Agentur für Gesundheitstechnologiebewertung und Tarifsysteme (AOTMiT) durchgeführt. Die einzelnen Mitgliedstaaten haben zu Beginn der Verfahren die Möglichkeit, ihre nationale Behandlungssituation in die Erstellung des Umfangs der Bewertungen einzubringen.
Die gemeinsamen klinischen Bewertungen erfolgen parallel zum Zulassungsverfahren bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). Die Entwürfe der Berichte müssen von der HTA-Koordinierungsgruppe der Mitgliedstaaten spätestens 30 Tage nach Annahme der Entscheidung der Kommission über die Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels gebilligt werden.
European Commission DG Health and Food Safety/ 2025: Health Technology Assessment: First joint clinical assessments begin [eNews]: https://ec.europa.eu/newsroom/sante/newsletter-archives/62551.
Die Wissenschaftler:innen fanden dazu 37 relevante Artikel, in denen LLMs getestet wurden, um bei verschiedenen Teilen des systematischen Überprüfungsprozesses zu helfen. Umfasst waren die Suche nach Literatur (41 % der Studien), Auswahl relevanter Studien (38 %) und Extraktion wichtiger Informationen aus diesen Studien (30 %). GPT war das am häufigsten verwendete LLM und kam in 89 % der Studien vor. 57 % der Untersuchungen konzentrierten sich darauf zu testen, ob diese KI-Tools im Kontext der Erstellung systematischer Übersichtsarbeiten tatsächlich wie beabsichtigt funktionieren.
Die Ergebnisse waren gemischt: Etwa die Hälfte der Studien fand LLMs vielversprechend, ein Viertel war neutral, und ein Fünftel fand sie nicht vielversprechend. LLMs haben zwar das Potenzial, den Prozess der systematischen Überprüfung effizienter zu machen, es fehlt aber noch an vollständig getesteten und validierten Anwendungen. Die zunehmende Zahl von Studien in diesem Bereich deutet allerdings darauf hin, dass diese KI-Tools bei der Erstellung systematischer Übersichtsarbeiten zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Lieberum JL, Töws M, Metzendorf MI, Heilmeyer F, Siemens W, Haverkamp C, Böhringer D, Meerpohl JJ, Eisele-Metzger A (2025) Large language models for conducting systematic reviews: on the rise, but not yet ready for use – a scoping review. Journal of Clinical Epidemiology 181. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0895435625000794.
Disease-Management-Programme (DMP) sind strukturierte Behandlungsprogramme für chronisch kranke Menschen. Knapp 1,9 Millionen gesetzlich Versicherte nehmen in Deutschland an einem DMP für chronische KHK teil. Diese werden seit dem Jahr 2003 angeboten und wurden bereits mehrfach aktualisiert. Die aktuellen Änderungen betreffen vor allem folgende Aspekte:
G-BA/ DE 2025: G-BA aktualisiert DMP für Versicherte mit koronarer Herzkrankheit [Pressemitteilung] https://bit.ly/4d1myul.
12. bis 14. Juni 2025
UMIT HTA Advanced Systematic Reviews and Meta-Analysis
Online
12. und 13. Juni 2025
15. Österreichischer Gesundheitswirtschaftskongress 2025
Wien
https://www.gesundheitswirtschaft.at/kongress/ueberblick-2025/
14. bis 16. Juni 2025
HTAi 2025
„NextGen Evidence: Diversifying and Advancing HTA to Meet Global Demands“
Buenos Aires
https://htai.org/event/htai-2025-annual-meeting-in-buenos-aires-argentina-2/
24. Juni 2025
IQWiG im Dialog
„Vertrauenswürdigkeit von Beobachtungsdaten“
Köln
https://www.iqwig.de/veranstaltungen/iqwig-im-dialog/
Impressum
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