Durch die zunehmende Professionalisierung von Patient*innen-Initiativen steigt auch ihr Bedarf an finanziellen Mitteln, der häufig durch Sponsoring von Pharmaunternehmen gedeckt wird. Um diese Geldflüsse transparenter zu gestalten, hat die Pharmaindustrie mit einer Selbstverpflichtung zur Offenlegung reagiert. Dadurch können zwar mögliche Interessenskonflikte sichtbar gemacht werden, allerdings ist die Bereitwilligkeit zur Transparenz noch immer relativ gering ausgeprägt, wie die Analysen des AIHTA seit 2014 zeigen. Im Jahr 2019 machten laut AIHTA-Bericht nur 39 von insgesamt 115 Mitgliedsunternehmen der PHARMIG Angaben über finanzielle Zuwendungen an Patient*innen-Initiativen. Im Vergleich zu 2018 sank die Offenlegungsquote von 43 auf 34 Prozent, während gleichzeitig ein deutlicher Anstieg der deklarierten Geldsumme um 37 Prozent auf rund 2,3 Millionen Euro zu beobachten war. Die Bandbreite der Unterstützungen erstreckte sich auf Förderungen der Vereinstätigkeiten und Informationsveranstaltungen über finanzielle Hilfen für Ausbildungsseminare und Tagungen bis hin zu Druckkostenzuschüssen.
Für die Analyse wurden die Websites aller 115 PHARMIG-Mitgliedsunternehmen auf Informationen zu finanziellem Sponsoring an Patient*innen-Initiativen untersucht. 2019 erhielten den größten Anteil die Bereiche Hämato-Onkologie (354.325 Euro bzw. rund 16 Prozent der Gesamtsumme) und Hämophilie (287.552 Euro bzw. rund 13 Prozent der Gesamtsumme), gefolgt von Lungenerkrankungen, Diabetes- und Stoffwechselerkrankungen. Die deutliche Zunahme von Zuwendungen auf dem Gebiet der Hämophilie dürfte nicht zuletzt mit der Entwicklung von neuen, sehr teuren Gentherapien im Zusammenhang stehen. Es ist insgesamt auffällig, dass vor allem jene Patient*innen-Initiativen unterstützt werden, für die teure Therapien zur Verfügung stehen. Die Patient*innen-Initiativen selbst deklarieren eher selten die konkreten erhaltenen Summen: Auf den Websites jener 17 Patient*innen-Initiativen mit den höchsten finanziellen Unterstützungen fanden sich nur in sechs Fällen Angaben zu konkreten Spendensummen, woraus ein geringes Problembewusstsein geschlossen werden kann.
Mögliche Interessenskonflikte beeinflussen nicht zwangsläufig das Urteilsvermögen von Patient*innen-Initiativen, sie sind aber ein Risiko für verzerrte Wahrnehmungen. Die gesponserten Patient*innen-Initiativen verlieren so möglicherweise den kritischen Blick und das Bewusstsein darauf, welche Therapiemöglichkeiten es abseits der von den unterstützenden Pharmaunternehmen angebotenen Arzneimittel noch gibt. Das Fazit des AIHTA-Berichts ist, dass das Problembewusstsein immer noch nur sehr selektiv vorhanden ist. Deshalb sei es notwendig, weiterhin ein kritisches Monitoring durchzuführen, um den Transparenzprozess zu unterstützen.
Priv. Doz. Dr. Claudia Wild, Geschäftsführerin der HTA Austria – AIHTA GmbH
Referenz:
AIHTA/AT 2021: Sponsoring von Patient*innen-Initiativen in Österreich. Update zu den systematischen Analysen 2014 bis 2018. AIHTA Policy Brief 007. https://eprints.aihta.at/1308/
Aducanumab wurde in zwei identischen, größtenteils zeitgleich durchgeführten, randomisierten klinischen Phase-III-Studien, ENGAGE und EMERGE, untersucht. In den Studien erhielten Patient*innen mit früher Alzheimer-Erkrankung (d. h. mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Demenz aufgrund von Alzheimer) nach dem Zufallsprinzip entweder niedrig oder hoch dosiertes Aducanumab oder Placebo. Die genaue Dosierung hing vom Vorhandensein oder Fehlen eines genetischen Markers für das Alzheimer-Demenz Risiko, Apolipoprotein E4 (APOE E4), ab. Aducanumab konnte in beiden Studien (und allen Dosierungen) effektiv Beta-Amyloid-Protein-Plaques beseitigen. Als primärer, klinischer Endpunkt wurde eine Veränderung des Mittelwerts der „Clinical Dementia Rating Scale - Sum of Boxes (CDR-SB)“ festgelegt. Der kleinste (für Patient*innen klinisch relevante) Unterschied (minimal important difference) im Behandlungsergebnis wurde aber nicht eindeutig definiert. Nach der Hälfte der Studienlaufzeit wurde das Studienprotokoll dahingehend geändert, dass die hochdosierte Gruppe unabhängig vom APOE ????4 Status 10 mg/kg Aducanumab verabreicht bekam. Im März 2019 wurden ENGAGE und EMERGE nach einer vordefinierten Zwischenanalyse gestoppt.
Nachfolgende Analysen zeigten einen möglichen positiven Behandlungseffekt von EMERGE. Die Ergebnisse von ENGAGE konnten jedoch keine Verbesserung der CDR-SB in der hochdosierten Gruppe im Vergleich zu Placebo nachweisen. Die Analysen der sekundären Endpunkte stimmten in beiden Studien mit dem Ergebnis des primären Endpunkts überein (positiv in EMERGE, negativ in ENGAGE). Zusammengeführte Sicherheitsdaten aus beiden Studien zeigten, dass bei etwa 35 % der Patient*innen, die Aducanumab erhielten, amyloid-bedingte Bildgebungsanomalien (ARIA) auftraten. Deren klinischen Auswirkungen reichten von asymptomatisch bis schwerwiegend. Die Mehrheit der Patient*innen war asymptomatisch oder hatte Symptome wie Kopfschmerzen, Verwirrtheit oder Schwindel, die mit dem vorübergehenden Absetzen des Medikaments verschwanden. 6,2 % der Patient*innen, die eine hohe Dosis von Aducanumab erhielten, brachen die Therapie aufgrund von ARIA ab. Außerdem kam es bei einigen Patient*innen zu Blutungen im Hirngewebe; ein Todesfall in der Phase-Ib-Studie konnte darauf zurückgeführt werden.
Uneinig ist man sich, ob der in EMERGE beobachtete Grad der Verbesserung klinisch relevant ist. Darüber hinaus muss ein Zusammenhang zwischen der Beseitigung von Beta-Amyloid-Protein-Plaque im Gehirn und der klinischen Verbesserung noch eindeutig nachgewiesen werden. Laut ICER ist die vorliegende Evidenz unzureichend. Es konnte nicht bestimmt werden, ob der klinische Nutzen von Aducanumab größer ist als der Schaden oder ob der Wirkstoff tatsächlich das Fortschreiten der Alzheimer-Demenz verringert. SE
Institute for Clinical and Economic Review (ICER)/USA 2021: Aducanumab for Alzheimer’s Disease: Effectiveness and Value. https://icer.org/wp-content/uploads/2020/10/ICER_ALZ_Draft_Evidence_Report_050521.pdf
Bei Patient*innen mit Restless-Legs-Syndrom (RLS, acht RCTs) führte die Eisentherapie im Vergleich zur Kontrollgruppe zu einer statistisch signifikanten Verringerung des Schweregrades der RLS-Symptome sowie zu einer statistisch signifikanten Verbesserung des Ansprechens auf die RLS-Behandlung. Hinsichtlich der Endpunkte Schlaf, Schläfrigkeit, Lebensqualität, Depression und Müdigkeit wurde allerdings keine statistisch signifikante Wirkung der Eisentherapie festgestellt. Bei Frauen mit IDNA und Fatigue (vier RCTs) führte die Eisentherapie im Vergleich zur Kontrollgruppe zu einer statistisch signifikanten Verbesserung des Schweregrades der Fatigue sowie zu verbesserten Subscores für Lebensqualität im Bereich der psychischen, und physischen Gesundheit. Bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS, ein RCT) kam es trotz Behandlung zu keiner statistisch signifikanten Reduktion des Schweregrades der ADHS-Stärke oder zur Verbesserung des klinischen Gesamteindrucks. Dagegen verringerte sich allerdings die Anzahl der Kinder mit RLS-Diagnose statistisch signifikant. Aufgrund der sehr geringen Fallzahlen (nur sieben RCTs berichteten über Sicherheitsoutcomes) wurden die unerwünschten (AEs) und schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse (SAEs) der drei Studienpopulationen gepoolt: Es konnte kein statistisch signifikanter Anstieg von AEs/SAEs bei Eisentherapie-Patient*innen im Vergleich zur Kontrollgruppe beobachtet werden.
Die Qualität der Evidenz aus Studien zu IDNA und Fatigue oder RLS wurde als sehr gering eingeschätzt. Trotzdem ist es laut Autor*innen wahrscheinlich, dass ein erheblicher Anteil der Eisentherapie-Patienten*innen eine Verringerung des Fatigue-Schweregrades bzw. der RLS-Symptome erfährt. Zudem deutete die Metaanalyse bei Frauen mit Müdigkeit darauf hin, dass kein Zusammenhang zwischen den Ferritin-Ausgangswerten zu Studienbeginn und dem Ausmaß der Verringerung des Fatigue-Schweregrades besteht. Die Behandlung mittels parenteraler Eisentherapie bringt allerdings erheblich höhere Kosten pro Patient*in mit sich als die Behandlung mittels oraler Eisentherapie. OS
Basel Institut für Klinische Epidemiologie & Biostatistik (ceb)/ CH 2020: Iron therapy for iron deficiency without anaemia. https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/kuv-leistungen/bezeichnung-der-leistungen/Re-Evaluation-HTA/iron-therapy-for-iron-deficiency-without-anaemia.pdf.download.pdf/Eisentherapie%20bei%20Eisenmangel%20ohne%20An%C3%A4mie%20-%20Full%20HTA%20Report.pdf
Manchmal hält sich das Gesundheitspersonal nicht an die empfohlene Praxis: Etwa wenn erforderliche Bluttests nicht angeordnet werden oder falsche Medikamente verschrieben werden. Hier können Interventionen in Bezug auf soziale Normen ansetzen, indem das Gesundheitspersonal beispielsweise den Überzeugungen, Gedanken, Meinungen oder Verhaltensweisen seiner Kolleg*innen ausgesetzt wird: Beispielsweise kann eine Gegenüberstellung der Antibiotikaverschreibungspraxis zwischen Ärzt*innen (im Sinne einer „glaubwürdigen Quelle“) als Verhaltensänderungstechnik fungieren.
Für die systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse schlossen die Forscher*innen 106 relevante Studien ein. Die meisten Studien konzentrierten sich auf Ärzt*innen, obwohl auch anderes Gesundheitspersonal einbezogen wurde. Die häufigsten Zielverhaltensweisen betrafen die Verschreibung von Medikamenten, die Anordnung von Tests und das Management von Gesundheitszuständen. Interventionen im Bereich der sozialen Normen können einen moderaten Effekt auf das klinische Verhalten des Gesundheitspersonals haben und auch die Gesundheitsergebnisse der Patient*innen verbessern, aber das Ausmaß des Effekts variierte stark zwischen den Studien. Sowohl der soziale Vergleich als auch der Bezug zu einer „glaubwürdigen Quelle“ erwiesen sich als wirksame Mittel zur Veränderung des klinischen Verhaltens des Gesundheitspersonals und zur Verbesserung der gesundheitlichen Ergebnisse der Patient*innen. Die Wirksamkeit des sozialen Vergleichs könnte verstärkt werden, wenn er mit einer Aufforderung kombiniert wird, z. B. mit einem Computer-Pop-up, das an die Antibiotika-Verschreibungsrichtlinien erinnert, wenn ein Allgemeinmediziner versucht Antibiotika zu verschreiben.
Obwohl das Gesamtergebnis bescheiden und sehr variabel ausfiel, kam das NIHR zu dem Schluss, dass Interventionen in Bezug auf soziale Normen eine wirksame Methode sind, um das klinische Verhalten des Gesundheitspersonals zu ändern und einen positiven Effekt auf die Patient*innen-Ergebnisse zu generieren. Zudem besteht das Potenzial, dass Interventionen im Bereich sozialer Normen in großem Umfang angewandt werden können. Als effektivste Interventionen hierfür stellten sich die Bereitstellung von Kommunikation von „glaubwürdigen Quellen“ zugunsten des gewünschten Verhaltens und der soziale Vergleich in Kombination mit Aufforderungen/Hinweisen heraus. LG
National Institute for Health Research (NIHR)/UK 2020: Social norms interventions to change clinical behaviour in health workers: a systematic review and meta-analysis. https://www.journalslibrary.nihr.ac.uk/hsdr/hsdr08410#/abstract
HQO hatte bereits in 2016 die Evidenz zu einer der rTMS Modalitäten, Hochfrequenz-rTMS überprüft: die EKT war wirksamer als rTMS und rTMs war wirksamer als Scheinbehandlung. Allerdings war der Unterschied in der Wirksamkeit gering und es gab keine Hinweise darauf, wie lange der Nutzen anhält. Die neue Übersichtsarbeit zu verschiedenen Modalitäten schloss 58 Primärstudien, 9 systematische Übersichtsarbeiten und 1 Netzwerk-Metaanalyse ein. Hinsichtlich aller Outcomes (Ansprechrate, Remissionsrate, Veränderung der Depressionsscores, Rückfallrate, Nebenwirkungen und Akzeptanz) waren die meisten rTMS-Modalitäten wirksamer als eine Scheinbehandlung. Die Qualität der Evidenz wurde als moderat bis hoch eingestuft. Evidenz von moderater Qualität weist darauf hin, dass alle rTMS-Modalitäten in Bezug auf Ansprech- und Remissionsraten eine ähnliche Wirksamkeit untereinander zeigen. Die EKT führte zu einer stärkeren Reduktion der Depressionsscores als rTMS, aber es gab keinen Unterschied in den Ansprech- oder Remissionsraten zwischen den beiden Behandlungen. Die Nebenwirkungen waren geringfügig und unterschieden sich zwischen rTMS und Vergleichsinterventionen nicht. Im Vergleich zur EKT allein, waren zwei rTMS Modalitäten (Hochfrequenz-rTMS und intermittent Theta Burst Stimulation), gefolgt von einer EKT in einem abgestuften Behandlungspfad, wirksamer als die EKT allein. Eine qualitative Analyse zeigte positive Erfahrungen mit rTMs und hohe Akzeptanz seitens der TRD Patient*innen sowie der Psychiater*innen. JE
Health Quality Ontario (HQO)/CA 2021: Repetitive transcranial magnetic stimulation for people with treatment-resistant depression. https://www.hqontario.ca/evidence-to-improve-care/health-technology-assessment/reviews-and-recommendations/repetitive-transcranial-magnetic-stimulation-for-people-with-treatment-resistant-depression
19. - 23. Juni 2021
HTAi 2021
„Innovation through HTA“
Online
25. November 2021
Kinder- und Jugendgesundheitssymposium
„CORONA – Auswirkungen & Entwicklungen in der Kinder- & Jugendgesundheit“
Hybrid
https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.745688&version=1617877123
10. - 12. November 2021
14th European Public Health Conference 2021
„Our Food, Our Health, Our Earth: A Sustainable Future for Humanity“
Online
Impressum
Redaktion: Claudia Wild/ CW, Ozren Sehic/OS
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