Molekulargenetische Diagnostik als Triage-Mechanismus in der Kardiologie am Beispiel der Familiären Hypercholesterinämie: Organisatorische und ethische Implikationen (Teil 1) sowie Ökonomische Auswirkungen (Teil 2)
Projektbearbeitung: Christoph Strohmaier
Projektleitung: Melanie Walter (Teil 1), Christoph Strohmaier (Teil 2)
Laufzeit: Mai 2020 – Oktober 2020
Sprache: Englisch (mit deutscher Zusammenfassung)
Publikation: HTA Projektbericht Nr. 130: http://eprints.aihta.at/1281/
Hintergrund:
Die sogenannte „Präzisionsmedizin“ und „Personalisierte“ Gesundheitsversorgung (PM / PHC) sind Bereiche, die zunehmend Entscheidungen von Kliniker*innen, der Pharmaindustrie, Patient*innen und Kostenträgern beeinflussen. Diese Bereiche werden stark von neuen Diagnostika und Therapeutika bestimmt, welche –basierend auf Biomarkern, genetischen, phänotypischen oder psychosozialen Merkmalen– einen/eine Patient*in von anderen Patient*innen mit ähnlichen klinischen Zuständen unterscheiden sollen und somit Risiko-basierte Strata bilden [1]. Molekulargenetische Tests stellen ein immer wichtigeres Instrument der Diagnostika dar, zum einen zur definitiven Diagnose einer Krankheit und zum anderen als Voraussetzung (Companion Diagnostik) für eine Therapie mit spezifisch wirksamen Medikamenten (Prognostik). Oftmals steht hierbei aber nicht nur die genetische Konstitution der betroffenen Patient*innen selbst im Fokus, sondern auch die Auswirkungen auf deren Nachkommen und Verwandte (Prädiktion). In der Onkologie und Neurologie sind molekulargenetische diagnostische, prognostische aber auch prädiktive Tests lange etabliert und finden breite Anwendung.
In Folge der Entdeckung einiger im Zusammenhang mit der Familiären Hypercholesterinämie (FH) stehender Gene (LDLR, APO-B, PCSK9) gewinnt die molekulargenetische Testung auch in der Kardiologie immer mehr an Bedeutung, im Besonderen auch als Triage-Mechanismus zur Risiko-Stratifizierung in der Prävention von (arteriosklerotischen-)kardiovaskulären Erkrankungen. Die FH ist eine weit verbreitete vererbbare Störung des Lipidstoffwechsels welche das Risiko von (arteriosklerotischen-)kardiovaskulären Ereignissen, auch schon in jungen Jahren, stark erhöht [2]. Derzeit ist in Österreich für die Diagnose eine molekulargenetische Bestätigung des Vorliegens einer Mutation auf den FH-assoziierten Genen nicht zwingend erforderlich. Eine Ausweitung der molekulargenetischen Testung kann, neben der definitiven Diagnose, zu effektiveren Kaskadentests gefährdeter Verwandter, der Einleitung von Therapien schon in früheren Jahren als auch generell zu verbesserten und effizienteren therapeutischen Entscheidungen verhelfen (z.B. eine Entscheidung über den Einsatz von PCSK9-Inhibitoren) [2]. Vor diesem Hintergrund sind organisatorisch-logistische Fragen sowie ethische Aspekte der Implementierung einer systematischen Testung, aber auch weiterreichende ökonomische Auswirkungen zu reflektieren.
Ziel und Forschungsfragen:
Es ist das Ziel des Projektes eine Entscheidungsunterlage zur Ausgestaltung der Implementierung von (prädiktiver) molekulargenetischer Diagnostik als Triage-Mechanismus in der Kardiologie am Beispiel der FH zu liefern. Folgende Forschungsfragen sollen beantwortet werden:
- FF1: Welche Teststrategien sind zur Feststellung einer FH möglich und welche werden von (inter-)nationalen Fachgesellschaften empfohlen?
- FF2: Was sind die organisatorisch-logistischen Voraussetzungen und Notwendigkeiten für die unterschiedlichen Teststrategien?
- FF3: Welche ethischen und regulatorischen Aspekte sind bei der (prädiktiven) molekulargenetischen Diagnostik zu bedenken?
- FF4: Welche Teststrategie kommt derzeit in Österreich zum Einsatz?
- FF5: Was sind die ökonomischen Implikationen der unterschiedlichen Teststrategien?
Methoden:
Zur Beantwortung der Forschungsfragen kommen folgende Methoden zum Einsatz:
- FF1: Systematische Synthese von Teststrategien im Ländervergleich (ohne Bewertung der Wirksamkeit und des Nutzens der jeweiligen Teststrategie): Überblick von Leitlinien, Algorithmen und Empfehlungen von Fachgesellschaften zur Ablaufgestaltung im Umgang mit der Feststellung der FH sowie der Verschreibung und Responsekontrolle von PCSK9-Inhibitoren bei Vorliegen einer FH-Diagnose.
- FF2: Extraktion der organisatorischen Abläufe, Beschreibung beteiligter Akteure und deren Interaktionen sowie die qualitative Ableitung der logistischen Voraussetzungen und Notwendigkeiten der jeweiligen Teststrategie.
- FF3: Systematische Synthese von ethischen und regulatorischen Aspekten: Überblick von Empfehlungen zum Umgang mit (prädiktiver) genetischer Information und Extraktion relevanter Argumente und Aspekte (angelehnt an den Hofmann‘schen Fragenkatalog [3]) in Form einer Perspektiven-sensitiven Matrix.
- FF4: Analyse der Ablauforganisation in Österreich und Kontrastierung mit anderen Teststrategien, inklusive der Kontaktaufnahme mit Expert*innen aus dem Bereich Kardiologie und Humangenetik sowie Patient*innenorganisationen.
- FF5: Ökonomische Extrapolation der Kostenimplikationen verschiedener Teststrategien, organisatorischer Modelle und Folgekosten in Form einer Szenarien-Analyse bzw. im Sinne einer Budgetfolgen-Analyse; soweit zugänglich, werden hierfür österreich-spezifische Kosten auf Basis von Tarifkatalogen und administrativen Daten verwendet.
Für FF1, FF3 und FF5 werden systematische Suchen ergänzt durch iterative Handsuchen (auf Deutsch und Englisch) in mehreren Datenbanken (Medline, Embase, G-I-N-Leitlinien, Trip Database, EconLit, RePec etc.) durchgeführt.
Darüber hinaus werden für FF1
- öffentliche Public Health Institutionen (z.B. NHS, G-BA, KBV, KV, Sozialversicherungen)
- medizinische Fachgesellschaften (z.B. AWMF, AHA, NLA)
- HTA, EbM-Forschungsinstitutionen (z.B. NICE, NIH, Ethik-Councils)
für FF3
- Ethik-spezifische Datenbanken (z.B. Belit, CINAHL, EthxWeb, ETHICSWEB, PsycINFO, Scopus)
- Leitlinien aus nationalen Genetik-Netzwerken
- Websites von Interessenvertretern
und für FF4
- Quellen für österreichische Leitlinien, nationale Fachgesellschaften, Policy-Dokumente, etc.
auf relevante Literatur durchsucht.
Für FF5 werden für Kostenberechnungen und Exploration der Budgetfolgen zusätzlich administrative Daten (Honorarordnungen, Tarifkataloge, Abrechnungsdaten, etc.) und die unit-cost database des Departments for Health Economics der Med-Uni Wien als Datenquellen herangezogen.
PICO-Fragestellung/Scope:
Population |
|
Intervention |
(Prädiktive) Molekulargenetische Diagnose der FH (Mutationen in FH-assoziierten Genen (LDLR, APO-B, PCSK9)) |
Comparators |
Standard klinische Diagnose der FH |
Outcomes |
|
Setting |
Ambulanter und niedergelassener Bereich |
Studiendesign |
Keine Einschränkungen |
Publikationszeitraum |
Keine Einschränkungen |
Sprache |
Deutsch, Englisch |
Alle Arbeitsschritte werden nach dem 4-Augen Prinzip (MW, CS) durchgeführt, die Ergebnisse werden einem internen und externen Review unterzogen.
Zeitplan/ Meilensteine:
Periode |
Leistungen |
Mai 2020 |
Scoping, Erstellen des Projektprotokolls |
Mai bis Juni 2020 |
Literaturrecherche, Literaturauswahl, Handsuche, Erstkontakt mit Expert*innen |
Juni bis August 2020 |
Datenextraktion, ökonomische Szenarien-Analyse/Budgetfolgen-Analyse, Durchführung der Expert*innen Interviews |
Juli bis September 2020 |
Berichterstellung |
Oktober 2020 |
Interner und externer Review, Finalisierung |
Referenzen:
[1] Jameson J. L. and Longo D. L. Precision medicine--personalized, problematic, and promising. N Engl J Med. 2015;372(23):2229-2234. Epub 2015/05/28. DOI: 10.1056/NEJMsb1503104.
[2] Sturm A. C., Knowles J. W., Gidding S. S., Ahmad Z. S., Ahmed C. D., Ballantyne C. M., et al. Clinical Genetic Testing for Familial Hypercholesterolemia: JACC Scientific Expert Panel. J Am Coll Cardiol. 2018;72(6):662-680. Epub 2018/08/04. DOI: 10.1016/j.jacc.2018.05.044.
[3] Hofmann B., Droste S., Oortwijn W., Cleemput I. and Sacchini D. Harmonization of ethics in health technology assessment: a revision of the Socratic approach. Int J Technol Assess Health Care. 2014;30(1):3-9. Epub 2014/02/07. DOI: 10.1017/S0266462313000688.