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- Newsletter September 2020 | Nr. 190
- Orphan Drug Gesetzgebung: Unabhängige Evaluation belegt mit Fakten die längst identifizierten Problembereiche
Orphan Drug Gesetzgebung: Unabhängige Evaluation belegt mit Fakten die längst identifizierten Problembereiche
Die Evaluation hatte zur Aufgabe, die ODR anhand von fünf Kriterien zu evaluieren. Zwischen 2007 und 2017 wurden 131 Arzneimittel als Orphan Drugs (OD) für 107 seltene Erkrankungen zugelassen (eigentlich 142, aber 11 wurde wieder zurückgezogen). 22 Medikamente wurden für zwei oder mehr Indikationen und für unterschiedliche Perioden der Marktexklusivität zugelassen – und mit erheblichem Return on Investement (RoI) über sehr lange Perioden. 28% aller OD sind onkologische Medikamente (etwa für Akute Myeloische Leukämie/AML oder Gliome), also in Indikationsbereichen angesiedelt, in denen bereits andere Therapieoptionen verfügbar waren. Der wissenschaftliche Fortschritt im Allgemeinen, Veränderungen auf dem Markt sowie andere Anreizsysteme wie der Orphan Drug Act der USA haben zur Entwicklung dieser neuen Orphan-Medikamente beigetragen. Mittels einer „Korrektur“ dieser Einflüsse könnte ein Entwicklungseffekt von (nur) 22 neuen Arzneimitteln entstehen. Der durchschnittliche Effekt der ODR als Beitrag zur Entwicklung von neuen Medikamenten für seltene Erkrankungen liegt also bei etwa 14%.Obwohl es sich beim Großteil der OD um neue Wirkstoffe handelt, werden sie keineswegs nur in neuen, sondern in den immer gleichen Indikationen zugelassen. Neben dem allgemeinen Trend der „Orphanisierung“ der Medikamente und Indikationen ist der Trend festgehalten, dass große Pharmafirmen nicht selber forschen, sondern die sich in einem späten Stadium befindlichen Entwicklungen von kleinen biomedizinischen Firmen (oft spin-offs von Universitäten) aufkaufen - auch als Strategie des „search and development“ (statt R&D) bekannt geworden.
Die Autor*innen der Evaluation schlussfolgern, dass die Orphan Drug Gesetzgebung nicht effektiv dabei ist, F&E auf tatsächlichen „unmet need“ (ungedeckter Bedarf ist definiert durch Indikationsbereiche, in denen es keine Therapiealternativen gibt) zu lenken, sondern nur dabei Wirksamkeit zeigte, den „off-label“ Gebrauch bereits eingesetzter Medikamente zu reduzieren und immer mehr Therapiealternativen in denselben Indikationen (bei verlängerter Marktexklusivität und Patentschutz!) zu erzielen. Zeitgleich mit der Evaluation wurde eine Studie veröffentlicht, in der die Einnahmen mit Orphan Drugs recherchiert wurden: waren es 2009 noch 3 OD mit über einer Milliarde Einnahmen, waren es 2019 bereits 20 OD. Die Autor*innen dieser BMJ-Publikation bringen es auf den Punkt: „lukrative Gesetzgebung“.
Priv. Doz. Dr. Claudia Wild, Geschäftsführerin der HTA Austria – AIHTA GmbH
Referenzen:
Technopolis (2019): Study to support the evaluation of the EU Orphan Regulation https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/files/paediatrics/docs/orphan-regulation_study_final-report_en.pdf
European Commission (2020): Joint evaluation of Regulation (EC) No 1901/2006 of the European Parliament and of the Council of 12 December 2006 on medicinal products for paediatric use and Regulation (EC) No 141/2000 of the European Parliament and of the Council of 16 December 1999 on orphan medicinal products. https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/files/paediatrics/docs/orphan-regulation_eval_swd_2020-163_part-1.pdf
Marselis D/ Hordijk L (2020): From blockbuster to “nichebuster”: how a flawed legislation helped create a new profit model for the drug industry. BMJ 2020; 370:m2983