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- Newsletter Mai 2021 | Nr. 197
- Familienorientierte Angebote für Kinder mit psychisch erkrankten Eltern
Familienorientierte Angebote für Kinder mit psychisch erkrankten Eltern
Schätzungen zufolge wächst jedes vierte Kind mit einem Elternteil auf, das punktuell oder längerfristig psychisch erkrankt ist. Diese Kinder haben ein deutlich erhöhtes Risiko, bereits im frühen Alter oder im späteren Leben psychisch zu erkranken. Es sind aber auch Schutzfaktoren bekannt, die eine transgenerationale Weitergabe psychischer Erkrankungen verhindern können, wie z.B. soziale Schutzfaktoren durch Unterstützung von Personen außerhalb der Familie oder durch stabile Bezugspersonen innerhalb der Familie.
In den vergangenen 15 Jahren wurden international verschiedene präventive Angebote entwickelt, die an diesen Schutzfaktoren ansetzen. Die größten Erwartungen setzen Expert*innen in sogenannte ‚familienorientierte Komplexangebote‘. Das sind Ansätze, in denen verschiedene Hilfsangebote je nach individuellem Bedarf zusammengeführt werden und bei denen die gesamte Familie auf unterschiedlichen Ebenen einbezogen wird. Forscher*innen haben erhoben, dass im deutschsprachigen Raum weniger als 10 Prozent (n=46; Österreich: n=3) aller 512 recherchierten Angebote als familienorientierte Komplexangebote eingestuft werden können. Die meisten davon adressieren 6- bis 12-jährige Kinder und deren Eltern, unabhängig von deren psychiatrischen Diagnosen. Im Vordergrund stehen Eltern- und Familiengespräche sowie Einzel- und Gruppengespräche für die Kinder. Über 90 % unterstützen Kinder im Umgang mit der elterlichen Erkrankung und versuchen, die kindlichen Ressourcen zu stärken. Zwei Drittel thematisieren auch das elterliche Erziehungsverhalten.
Bei mehr als der Hälfte der Angebote lag keine oder nur eine begrenzt aussagekräftige Evaluation vor. In mehreren Fällen wurde kein Evaluationsergebnis publiziert. Bei jenen vier Angeboten, die mit einem robusten Evaluationsdesign bewertet wurden, wurden durchwegs positive Ergebnisse zu den durchgeführten familienorientierten Interventionen berichtet (z.B. Reduktion der psychischen Belastung und verbesserte Lebensqualität der Kinder, verbesserte Krankheitsbewältigung der Eltern im Vergleich zur Kontrollgruppe). Allerdings gab es je nach Projekt nicht bei allen gemessenen Parametern Verbesserungen (z.B. bezüglich des Wissens der Kinder über die psychische Erkrankung des Elternteils). Die Autor*innen fordern mehr Vernetzung zwischen Akteuren aus Wissenschaft und Praxis und überdies Forschungsstrukturen, die seriöse Evaluierungen ermöglichen. Aus ihrer Sicht braucht es noch wesentlich mehr konkretes Wissen darüber, welche Ansätze für wen und unter welchen Bedingungen wirksam sind, etwa differenziert nach verschiedenen psychiatrischen Krankheitsbildern der Eltern. IZK
Pohl et al. (2020). Familien mit Kindern psychisch kranker Eltern: Ein Überblick über ambulante, familienorientierte Komplexangebote im deutschsprachigen Raum. Psychiatrische Praxis. DOI: 10.1055/a-1310-4833. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1310-4833