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- Newsletter Oktober 2021| Nr. 201
- Editorial: Belgischer HTA Bericht analysiert Aufwand und Ergebnis von Onkologika in 12 Tumorerkrankungen (2004 – 2017)
Editorial: Belgischer HTA Bericht analysiert Aufwand und Ergebnis von Onkologika in 12 Tumorerkrankungen (2004 – 2017)
Das 1.500-seitige „Werk“ ist nicht nur aufgrund der Seitenzahl (350 Seiten Bericht plus 1.150 Seiten Appendix) und der Dichte der Informationen beeindruckend, sondern auch aufgrund des Detaillierungsgrades, der Datenpräsentationen und der Nachvollziehbarkeit der Datenanalysen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich in einigen Tumorerkrankungen, insb. bei Blutkrebsindikationen (bei chronisch myeloischer Leukämie/CML, multiplem Myelom/ MM, Non-Hodgin Lyphom/ NHL), aber auch bei soliden Tumoren (nicht-kleinzelliger Lungenkrebs/NSCLC, Prostatakarzinom/ PCa, Nierenzellkarzinom/ RCC, Melanom) bei gleichzeitiger Vervielfältigung der Kosten bessere klinische Outcomes abbilden lassen. Einige Beispiele:
- Beim MM stieg die 3-Jahres Überlebenswahrscheinlichkeit von 56,4 % im Jahr 2004 auf 67,4 % in 2017. Die durchschnittliche Überlebenszeit wuchs von 3,7 Jahren auf 5 Jahre. Die durchschnittlichen Kosten je Therapie (innerhalb der ersten 2 Jahre nach Diagnose) verzehnfachten sich von etwa € 5.300 (2004) auf € 59.200 (2017), was vornehmlich durch Lenalidomde und Bortezomib zu erklären ist. Anmerkung: hier ist die CAR-T Zelltherapie noch nicht berücksichtigt.
- Beim NSCLC – Stadium IV - stieg die 3-Jahres Überlebenswahrscheinlichkeit von 5,6% im Jahr 2004 auf 15,5% im Jahr 2017, während die durchschnittliche Überlebenszeit konstant bei 0,5-0,6 Jahren blieb. Eine Differenzierung nach EGFR oder ALK Status war datentechnisch nicht möglich. Die durchschnittlichen Kosten je Therapie (innerhalb der ersten 2 Jahre nach Diagnose) versiebenfachten sich von etwa € 5.000 (2006) auf € 35.000 (2017). Die Gesamtausgaben wuchsen von € 40 Mio. (2010) auf € 120 Mio. (2017), was vornehmlich durch die Immuntherapeutika Nivolumab und Pembrolizumab zu erklären ist.
Anders stellt es sich bei weiteren soliden Tumoren – in späten Erkrankungsstadien– dar. Bei Brustkrebs/BCa, Kolonkarzinom/CRC, Hals- und Kopftumoren/H&N, Mesotheliom lassen sich trotz enormen Aufwands keine oder kaum Veränderungen erkennen. Einige Beispiele:
- Beim CRC (Stadium IV) stieg die 3-Jahres Überlebenswahrscheinlichkeit von 21,5% im Jahr auf 28,2% im Jahr 2017. Die durchschnittliche Überlebenszeit wuchs von 1,3 auf 1,6 Jahre. Die durchschnittlichen Kosten je Therapie (innerhalb der ersten 2 Jahre nach Diagnose) waren € 10.600 in 2004 und verdoppelten sich in kurzer Zeit nach Zulassung von Bevacizumab auf € 20.100. Die Gesamtausgaben für CRC wuchsen von € 6,6 Mio. (2004) auf € 56 Mio. (2016), auch wegen der Anzahl der behandelten Patient*innen.
- Beim MammaCa (Stadium IV) stieg die 4-Jahres Überlebenswahrscheinlichkeit von 47,2% im Jahr 2014 auf 51,2% im Jahr 2017. Die durchschnittlichen Kosten je Therapie (innerhalb der ersten 2 Jahre nach Diagnose) waren € 11.000 (bis 2014) und verdoppelten sich bis 2017 auf € 25.000. Die Gesamtausgaben wuchsen von € 4,1 Mio. (2004) auf € 16 Mio. (2017), was bis zum Ende des Patentschutzes von Trastuzumab, vornehmlich auf diesen Wirkstoff, später auf Pertuzumab zurückgeführt werden kann.
Der unangemessene Einsatz von systemischer Therapie in den letzten Wochen vor dem Ableben ist seit einiger Zeit Inhalt von Analysen (so auch des AIHTA 2020). Der belgische Bericht zeigt etwa auch auf, dass zwischen 11,6% (Mesotheliom) und 46,3% (chronisch myeloischer Leukämie) der Patient*innen im letzten Lebensmonat und zwischen 1,9% und 16,9% in der letzten Lebenswoche noch systemische Therapien erhalten. Dass dieser unangemessene Einsatz aggressiver Therapien am Lebensende auch in Belgien aber abnimmt, zeigt sich an entsprechenden Vergleichsdaten zwischen 2004 und 2018.
Ein Fazit zum Schluss: Derartige Analysen sind nur möglich, weil es in Belgien nationale Krebsregister gibt, die mit Sozialversicherungsdaten zu Kosten und Ausgaben verlinkt wurden; all das ist in Österreich nicht möglich, da es keine zentrale Dokumentation gibt und damit eine kritische Reflexion von Aufwand und Nutzen unmöglich ist.
Priv. Doz. Dr. Claudia Wild, Geschäftsführerin der HTA Austria – AIHTA GmbH
KCE/ BE 2021: Benefits and Costs of Innovative Oncology Drugs in Belgium, KCE Report 343: July 2021. https://kce.fgov.be/sites/default/files/atoms/files/KCE_343_Innovative_oncology_drugs_in_Belgium_Report.pdf + https://kce.fgov.be/sites/default/files/atoms/files/KCE_343S_Innovative_oncology_drugs_in_Belgium_Supplement.pdf
AIHTA/ AT 2020/21: Robausch et al. Cancer Care near the End-Of-Life in Austria: a retrospective Data-Analysis, European Journal of Cancer Care, 07 February 2021, https://doi.org/10.1111/ecc.13423