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- Newsletter Juni 2022 | Nr. 208
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Editorial: Chronische Wunden und evidenzbasierte Versorgungsplanung
Die Ludwig Boltzmann Forschungsgruppe Alterung & Wundheilung hat die Versorgung chronischer Wunden im österreichischen Gesundheitssystem analysiert und dazu einen Bericht veröffentlicht. Was sich darin zeigt: Die Datenlage ist problematisch, da unklar ist, wie viele Menschen unter chronischen Wunden leiden und versorgt werden müssen. Ein einheitlicher Behandlungspfad fehlt. Die Versorgungsqualität für die Betroffenen ist offensichtlich nicht optimal, ein Bewusstsein für diese Problematik scheint jedoch vorhanden zu sein.
Chronische Wunden sind definiert durch einen Integritätsverlust der Haut, der innerhalb mehrerer Wochen trotz medizinischer Behandlung keine Heilungstendenzen zeigt. Zugrunde liegen meist tiefere Ursachen: Krankheiten wie venöse Insuffizienz, Diabetes mellitus oder periphere arterielle Verschlusskrankheit. Auch Bettlägerigkeit ohne Druckentlastung kann chronische Wunden verursachen. Professionelle medizinische Versorgung ist notwendig, um den Heilungsprozess zu unterstützen und Komplikationen, wie einer Wundinfektion, vorzubeugen. Auch über die Wundheilung hinaus ist professionelle Versorgung wichtig. Selbst nach erfolgreicher Heilung besteht ein Rezidivrisiko, solange die Wundursache nicht behoben oder nachhaltig therapiert wird. Chronische Wunden sind mehr als ein Hautschaden. Ihre Therapie bedingt interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit.
Chronische Wunden beeinträchtigen die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Betroffenen durch Schmerzen, Mobilitätsverlust, Wundgeruch und Depression. Mit der Bevölkerungsalterung und der Zunahme der Risikofaktoren auch bei Menschen im Erwerbsalter wächst die Prävalenz. Besonders hohe Gesundheitskosten verursachen die Langzeitversorgung venöser Ulzera und diabetesbedingte Amputationen. Diese Erkenntnisse stammen aus der internationalen Literatur – die Datenlage macht es schwierig, sich ein genaues Bild zur österreichischen Situation zu machen. Doch auch hier altert die Bevölkerung bei einer schlechten Bilanz der gesunden Lebensjahre. Für chronische Wunden gibt es in Österreich mehrere Fachversorgungsangebote im niedergelassenen und im spitalsambulatorischen Bereich, die jedoch keine flächendeckende Versorgung bieten (können). Für Hausarztpraxen sind chronische Wunden eine Herausforderung, da die Streuung der Patien*innen zu wenig Behandlungsroutine führt und die oft zeitaufwändigen Behandlungen schlecht abgegolten werden.
Oft verlagert sich die Betreuung chronischer Wunden in den Bereich der Hauskrankenpflege. Spezialisiertes Pflegepersonal, sogenannte Wundmanager*innen, sind mittlerweile in allen wund-assoziierten Bereichen der medizinischen Versorgung anzutreffen: im stationären Bereich, Primärversorgungseinrichtungen sowie der Hauskrankenpflege. Betroffene versuchen oft sich mit Hausmitteln selbst zu versorgen und sind mit einer ständig größer werdenden Wunde konfrontiert, die sich ganz anders verhält als die vertrauten Verletzungswunden. Der Therapiebeginn kann sich noch zusätzlich verzögern, wenn Hausärzt*innen die Patient*innen nicht zeitnah zur Ursachendiagnostik in die Fachversorgung verweisen. Das Komplikationsrisiko steigt mit jeder Verzögerung.
Versorgungskapazitäten können nur adäquat bemessen werden, wenn bekannt ist, wie viele Menschen an chronischen Wunden leiden: Zudem lässt sich die Behandlungsqualität nicht direkt messen. Für Mai 2022 wurde eine revidierte AWMF Leitlinie zur Lokalversorgung chronischer Wunden angekündigt. Spitalsambulanzen haben hausinterne Abläufe, Outcomes werden nicht erhoben oder die gewonnenen Daten nicht systematisch ausgewertet. Auch die Qualität der (internationalen) Evidenz bei der Beurteilung unterschiedlicher Therapieoptionen ist problematisch. Für Österreich lässt sich aber ein Problembewusstsein feststellen: die Bundeszielsteuerungskommission hat Ende 2021 einen Qualitätsstandard in Auftrag gegeben.
Raffael Himmelsbach, PhD; Co-director & Open Innovation in Science Manager, Ludwig Boltzmann Research Group SHoW – Senescence and Healing of Wounds
Schneider C. et al. 2022 Die Versorgung chronischer Wunden durch das österreichische Gesundheitssystem – eine Übersicht, https://doi.org/10.5281/zenodo.6406108.