- Aktuelles
- Newsletter
- Newsletter März 2023 | Nr. 215
- Editorial: Öffentliche Infrastruktur zur Überwindung des Marktversagens am Arzneimittelmarkt
Editorial: Öffentliche Infrastruktur zur Überwindung des Marktversagens am Arzneimittelmarkt
Der STOA-Bericht identifizierte sechs Schwachstellen in dem derzeitigen F&E-Modell zur Arzneimittelentwicklung, für die die derzeitigen regulatorischen Maßnahmen unzureichend sind...
- Diskrepanz zwischen den F&E-Entscheidungen der Pharma-Unternehmen und den Prioritäten der öffentlichen Gesundheit: die F&E-Prioritäten der Unternehmen entsprechen nicht den dringendsten Bedarfen zur Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit.
- Ungleichgewicht zwischen der „open access“ Politik und Praktiken (zu Wissen) im öffentlichen Sektor und Patentschutz im privaten Sektor. Das derzeitige Geschäftsmodell der pharmazeutischen Industrie stützt sich in hohem Maße auf das „rechtliche Monopol“, das durch die Anmeldung eines Patents gewährleistet wird.
- Renditen für Finanzinvestoren in der pharmazeutischen Industrie speisen sich aus den staatlichen Subventionen für F&E, die direkt und indirekt durch eine Kombination von Zuschüssen des öffentlichen Sektors für die biomedizinische Forschung entweder im Vorfeld oder direkt an die Unternehmen vergeben werden. Die Öffentlichkeit zahlt zweimal, der Gewinn ist privatisiert.
- Der pharmazeutische Sektor weist eine oligopolistische Struktur mit einer Reihe von Unternehmen, die in verschiedenen Teilmärkten oder therapeutischen Bereichen tätig sind, auf. Die Folgen dieser Marktmacht sind, dass die Preise, insbesondere für neue Arzneimittel, mit großen Gewinnspannen (gegenüber undurchsichtigen Kosten) verbunden sind; häufige Fusionen und Übernahmen führen zu einer weiteren Marktkonzentration. Fragen des Zugangs, der Erschwinglichkeit und der Verfügbarkeit werden nicht gelöst, sondern verschärft.
- Es bestehen keine Anreize, Studien zur Optimierung von Arzneimitteln nach der Marktzulassung durchzuführen. Langzeitstudien werden zumeist von nichtkommerziellen Einrichtungen durchgeführt.
- Informationsasymmetrien verhindern, dass öffentliche Einkäufer (Krankenhäuser, Krankenversicherungen, etc.) ausreichend Daten und Informationen zur Kostenstruktur von F&E oder zu Produktions- und Vertriebskosten für die Beschaffung von Arzneimitteln zur Verfügung haben.
... und bringt Vorschläge (in der Form von vier Optionen) für politische Ansätze, die auf einer direkteren öffentlichen Intervention beruhen (wie sie in der Raumfahrtpolitik und anderen wissenschaftsbasierten Sektoren erfolgreich praktiziert werden). Basierend auf dem alleinigen Auftrag, im Interesse der europäischen Bürger*innen sichere, wirksame, innovative und erschwingliche Arzneimittel zu entwickeln, wird die Schaffung (resp. der Ausbau) einer europaweiten F&E-Infrastruktur und der Aufbau einer Organisation für die Bereitstellung von Arzneimitteln in bestimmten kritischen Bereichen empfohlen. Diese Organisation muss die Ergebnisse der von ihr durchgeführten F&E Projekte entweder vollständig oder - in bestimmten Fällen - im Rahmen von Public-Private Partnerschaften besitzen und ihre Rechte am geistigen Eigentum und alle anderen Eigentumsrechte an Innovationen ausschließlich im öffentlichen Interesse verwalten.
Eine vorausschauende und langfristige Strategie und politischer Wille sind jetzt die Voraussetzung für die Umsetzung dieses Vorschlags.
Priv.-Doz. Dr. Claudia Wild, Geschäftsführerin der HTA Austria – AIHTA GmbH
Referenzen
European Parliamentary Research Service (EPRS) Scientific Foresight Unit (STOA) European pharmaceutical R&D: could public infrastructure overcome market failure? PE 697.197Dec 2021 https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2021/697197/EPRS_STU(2021)697197_EN.pdf.