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- Newsletter April 2023 | Nr. 216
- Editorial: Environmental Impact: wie können Umweltaspekte in die Bewertung medizinischer Technologien einbezogen werden
Editorial: Environmental Impact: wie können Umweltaspekte in die Bewertung medizinischer Technologien einbezogen werden
Klimawandel und Nachhaltigkeit nehmen auch im gesundheitspolitischen Diskurs an Wichtigkeit zu. Dabei geht es nicht nur darum, die möglichen Auswirkungen von klimatischen Änderungen auf die Gesundheit der Bevölkerung zu antizipieren und zu bewältigen, sondern auch den ökologischen Fußabdruck der Gesundheitsversorgung zu verstehen und zu entschärfen. In letzterer Hinsicht kommt neben der Umweltbilanz von Gesundheitseinrichtungen auch den Umweltfolgen von Gesundheitstechnologien besondere Bedeutung zu. Zwar sieht die neue HTA-Definition die Berücksichtigung von umweltbezogenen Aspekten bei der Bewertung medizinischer Technologien vor. Allerdings ist die Mitbetrachtung von Umwelteffekten im Rahmen von HTA alles andere als gängige Praxis. Eine verzögerte Wahrnehmung, methodische Hürden zur Messung von Umwelteffekten sowie ein fehlendes Konzept zur Abwägung gegenüber anderen Domänen wie Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit tragen dazu bei.
Ansätze, die zur Integration von „environmental impact assessment“ in HTA herangezogen werden könnten, gibt es bereits seit mehreren Jahren. Zum Beispiel besteht eine Möglichkeit darin, den Ressourcenverbrauch entlang des Versorgungspfades zu modellieren, was auch die Substitution von ineffektiven oder ineffizienten Technologien umfassen würde und die Effekte der Technologie (z.B. Reduktionen im Patient*innentransport aufgrund von weniger Besuchen in medizinischen Einrichtungen) mitberücksichtigen müsste. Um den Gesamteinfluss der Nutzung einer Technologie auf die Umwelt messen zu können, ist allerdings eine erweiterte Betrachtung notwendig, die auch Lieferketten, Produktion und Entsorgung von Technologien mitbetrachtet, ein sogenannter Lebenszyklus-Ansatz (1). Relevante Umweltbelastungen wären dabei neben Treibhausgasemissionen auch Luftverschmutzung, die Belastung der Umwelt mit Chemikalien, Produktion und Entsorgung von Abfall und Wasserverbrauch. Doch gibt es nur für die Berücksichtigung von Treibhausgasemissionen validierte Berechnungsmethoden nach internationalen Standards, wie das GHG Protocol Product Life Cycle Accounting and Reporting Standard. Aber auch hierzu normieren weder EU-Zulassungsrecht für Medizinprodukte bzw. Arzneimittel, noch nationale Gesetzgebung relevante Anforderungen.
Im Rahmen der evidenzbasierten Entscheidungsfindung bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten für eine Berücksichtigung von Umwelteffekten an (2,3). Zum Beispiel könnten diese, wie oben beschrieben, separat aufbereitet werden und als Entscheidungskriterium in einem multidimensionalen Abwägungsprozess fungieren. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Zahlungsbereitschaft von Entscheidungsträgern für die gesundheitlichen Vorteile einer Technologie so zu berücksichtigen, dass neben den Kosten auch die mit dem Lebenszyklus der Technologie verbundenen Umweltauswirkungen monetarisiert werden. Modelle für den wirtschaftlichen Wert von Umweltauswirkungen sind allerdings mit erheblicher Unsicherheit behaftet und werden kontrovers diskutiert.
Aus der internationalen Praxis stechen Beispiele aus Kanada und England hervor: CADTH schlägt eine Klassifikation von Technologien nach Toxizität, Abfallaufkommen und Treibhausgasemissionen vor. Im Rahmen des ‚Medical Technologies Evaluation Programme‘ des englischen NICE können Medizinprodukthersteller ‚sustainability claims‘ geltend machen, z.B. aufgrund einer Verringerung der Treibhausgasemissionen. Darüber hinaus entwickelt NICE aktuell ein Konzept zur Quantifizierung von Nachhaltigkeitsinformationen, welches ggf. zur Überwindung der oben beschriebenen Herausforderungen beitragen könnte. Internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich wäre dringend notwendig.
Dr. Dimitra Panteli - European Observatory on Health Systems and Policies, Brüssel
PD Dr. med. Matthias Perleth, MPH - Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA), Berlin
Literatur
(1) McAlister S, Morton RL, Barratt A. Incorporating carbon into health care: adding carbon emissions to health technology assessments. Lancet Planet Health 2022;6:e993-e999.
(2) Toolan M, Walpole S, Shah K, et al. Environmental impact assessment in health technology assessment: principles, approaches, and challenges. Int J Technol Assess Health Care. 2023;39:e13.
(3) Greenwood Dufour B, Weeks L, et al. How We Might Further Integrate Considerations of Environmental Impact When Assessing the Value of Health Technologies. Int. J. Environ. Res. Public Health 2022;19:12017.
Verweis: Im Rahmen der 24. Jahrestagung des Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin (22.-24. März 2023 in Potsdam) hat der Verein zur Förderung der Technologiebewertung im Gesundheitswesen (HTA.de) in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich HTA des Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin einen Workshop zum Thema “Environmental Impact: eine neue Dimension in der Bewertung medizinischer Technologien?” organisiert. Weitere Informationen sowie die Präsentationen zum Workshop sind hier zu finden.