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- Newsletter Juni 2024 | Nr. 228
- Editorial: Neue Methoden aus der Gesundheitsökonomie machen Auswirkungen neuer Leistungen auf gesundheitliche Ungleichheit sichtbar
Editorial: Neue Methoden aus der Gesundheitsökonomie machen Auswirkungen neuer Leistungen auf gesundheitliche Ungleichheit sichtbar
Während die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen ist, ist Gesundheit gleichzeitig ungleich verteilt. Personen mit geringer formaler Bildung oder niedrigem Haushaltseinkommen haben eine deutlich niedrigere Lebenserwartung und verbringen mehr Lebensjahre in eingeschränkter Gesundheit als solche mit hohem Einkommen und höheren Bildungsabschlüssen. 2019 hatten in Österreich etwa Männer bzw. Frauen mit hohem Bildungsabschluss eine um 6,5 Jahre bzw. 3,7 Jahre höhere Lebenserwartung als solche mit Pflichtschulabschluss.
Neben Lebens- und Arbeitsbedingungen inkl. Bildung wird gesundheitliche Ungleichheit auch über den Zugang und die Inanspruchnahme von Leistungen im Gesundheitswesen beeinflusst. Daher sollte vor der Einführung einer neuen Leistung deren Auswirkung auf die gesundheitliche Ungleichheit berücksichtigt werden. Bisherige Methoden der gesundheitsökonomischen Evaluation stellen zwar fest, welche Maßnahmen den durchschnittlichen Gesundheitszustand der Bevölkerung am meisten verbessern, nicht aber, wie sie die Verteilung von Gesundheit beeinflussen. Eine Gruppe an der University of York (EQUIPOL) forscht seit längerem zu Methoden, mit denen Verteilungsaspekte in die gesundheitsökonomischen Evaluationen integriert werden können.
Die Forscher*innen entwickelten ein 6-Schritte-Konzept, anhand dessen die Folgen einer Intervention auf die Verteilung von Gesundheit systematisch berücksichtigt werden können (welche Gruppen sind aus Verteilungssicht bei einer Erkrankung relevant, wie ist Gesundheit in diesen Gruppen derzeit verteilt, wie beeinflusst die neue Leistung die aktuelle Verteilung von Gesundheit etc.). Um diese Fragen nicht nur qualitativ zu erörtern, erstellten sie auf Basis britischer Daten einen einfach anwendbaren „Health Equity Impact Calculator“ (https://shiny.york.ac.uk/dceasimple/). Damit wird sichtbar, wenn die Finanzierung einer neuen Leistung zwar die Effizienz erhöht, die gesundheitliche Ungleichheit aber verstärkt und umgekehrt. Ein neuer Screening-Test (z.B. HPV-Test) könnte etwa kosteneffektiv sein aber die gesundheitliche Ungleichheit verstärken, wenn er nur von Frauen mit höherer Bildung in Anspruch genommen wird. Zusätzlich erhoben die Forscher*innen, inwieweit Bürger*innen eine Reduktion der gesundheitlichen Ungleichheit präferieren, selbst wenn dies auf Kosten der Gesamtgesundheit in der Bevölkerung geht. Diese Information steht Entscheidungsträgern zur Verfügung, wenn sie zwischen mehr Effizienz oder weniger gesundheitlicher Ungleichheit abwägen müssen.
Mit dem zweiten der zehn österreichischen Gesundheitsziele hat sich Österreich vorgenommen, für gesundheitliche Chancengerechtigkeit zu sorgen. Daher sollte mit der Finanzierung einer neuen Leistung unerwünschte gesundheitliche Ungleichheit nicht verstärkt und im Idealfall sogar verringert werden. In zukünftigen Auseinandersetzungen mit gesundheitsökonomischen Methoden in Österreich gilt es daher, die Entwicklungen zu Gerechtigkeitsaspekten aufzugreifen. Um die internationalen Methoden in Österreich anzuwenden, ist allerdings einiges an Forschungsarbeit (z.B. Adaption der Tools mit österreichischen Daten, Erhebung von Präferenzen in der österreichischen Bevölkerung) und der Wille, gesundheitsökonomische Evidenz bei Entscheidungen mehr zu nutzen, nötig. Damit können gesundheitsökonomische Methoden nicht nur zu einem effizienten, sondern auch zu einem faireren Gesundheitssystem beitragen.
Dr. Ingrid Zechmeister-Koss, stellvertretende Institutsleiterin der HTA Austria – AIHTA GmbH
Referenzen
EQUIPOL/UK 2024: Beyond the Average. Making Fairer Decisions for Public Health. University of York. https://bit.ly/4c2C737.
Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK)/AT 2023: Österreichischer Gesundheitsbericht 2022. https://bit.ly/4c2Cwm9 .