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- Newsletter Juli/August 2025 | Nr. 239
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Editorial: Priorisierung von Impfprogrammen auf Basis von Simulationen
Auf Basis eines Beschlusses der Bundeszielsteuerungskommission haben wir im Auftrag des BMASGPK in einem wissenschaftlichen Konsortium, dem neben der Technischen Universität Wien auch die Medizinische Universität Wien und die Gesundheit Österreich GmbH angehören, in Österreich empfohlene, aber bisher nicht refundierte Impfungen modelliert und in unterschiedlichen Szenarien verglichen. Die Ergebnisse dienen als Entscheidungsgrundlage, welche Impfungen prioritär in das österreichische Impfprogramm aufgenommen werden sollen. Ein ebenso großes wie motiviertes Sounding Board, bestehend aus institutionellen Stakeholdern quer durch alle wissenschaftlichen Disziplinen, hat das Projekt begleitet und unterstützt.
Gemeinsam mit dem nationalen Impfgremium wurden erstmals vergleichbare strukturierte Fragestellungen im standardisierten PICO-Format für alle festgelegten Interventionen definiert. Darauf aufbauend wurden multidimensionale Outcomes für den intra- und extramuralen Bereich festgelegt. Die Priorisierung der Impfungen erfolgt nicht durch das Simulationsmodell. Vielmehr wurde eine Matrix generiert, anhand derer Entscheider:innen unterschiedliche Interventionen, Outcomes und Szenarien für variierende Durchimpfungsraten auswerten und diskutieren können. Die Büchse der Pandora vor Augen habe ich im Projektverlauf nicht nur einmal gefragt: „Wollt ihr das wirklich …?“
Ein wesentlicher Vorteil des gewählten Ansatzes ist, dass alle Parameter und Daten – soweit vorhanden – aus Österreich stammen und somit vergleichbar sind. Damit wurde ein erster Schritt gesetzt, um die konkrete österreichische Ausgangslage korrekt abzubilden und diese nicht aus internationalen Studien abschätzen zu müssen. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man etwa an die eingeschränkte Datenlage zu Durchimpfungsraten oder gar Immunisierung denkt. Zudem ist es für das Modell erforderlich, Kosten für Behandlungspfade vermiedener Erkrankungen abzubilden. Eine Herausforderung, die so schwierig wie wichtig ist – und im ersten Schritt nur durch die Beschränkung auf die Haupttherapiewege bewältigt werden konnte. Beeindruckend (und für mich unerwartet) war, dass alle involvierten Stakeholder bereit waren, das Projekt mit Rat und Tat – und, soweit trotz engem Zeitfenster möglich, auch mit Daten zu unterstützen.
Viele Herausforderungen und Fragen sind uns begegnet – und werden uns auch künftig begleiten: Welches Basisszenario kann als geeigneter „Comparator“ gewählt werden? Wie kalkuliert man die Langzeitkosten von Erkrankungen? Erfreulich ist, dass die vorhandene digitale Infrastruktur es ermöglicht, Daten und Annahmen anzupassen und Interventionen iterativ und transparent zu vergleichen und diskutierbar zu machen.
Simulation ist ein nützliches Werkzeug für jene Fälle, in denen die Welt nicht empirisch erfassbar ist. Wenn dieses Werkzeug richtig eingesetzt wird, ist es sehr effektiv darin, verschiedene Strategien vergleichbar zu machen. Und ein weiterer Nebeneffekt: im Zuge des formalisierten Prozesses ein valides und lauffähiges Simulationsmodell zu bauen, offenbart sich schonungslos, über welche Daten wir nicht verfügen – und was wir alles nicht wissen.
DI Niki Popper, PhD – Senior Scientist an der Technischen Universität (TU) Wien