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- Newsletter Mai 2021 | Nr. 197
- Editorial: Zukunft eines Gesundheitsberufs – Impulse aus einer Studie zur Pflege in anderen Ländern
Editorial: Zukunft eines Gesundheitsberufs – Impulse aus einer Studie zur Pflege in anderen Ländern
Die aktuelle Pandemie führt uns die Bedeutung der Pflege deutlich vor Augen: Sie ist die größte Berufsgruppe im Gesundheitssystem und in allen Versorgungssettings vertreten, wobei sie meist anspruchsvolle Aufgaben wahrnimmt. Zugleich leiden Pflegefachpersonen – besonders in den deutschsprachigen Ländern – an schlechten Arbeitsbedingungen, mangelnder Anerkennung, einem überholten Image und fehlenden Perspektiven. Während händeringend Nachwuchs für die Pflege gesucht wird, häufen sich in den sozialen Medien Meldungen über den „Pflexit“ – den Abschied aus dem Gesundheitsberuf. Angesichts dessen wurde 2019 an der Charité – Universitätsmedizin eine von der Stiftung Münch geförderte international vergleichende Studie durchgeführt. Durch den „Blick über den Tellerrand“ sollte untersucht werden, wie Ausbildung und Praxis der Pflege im Vereinigten Königreich, Schweden, den Niederlanden und Kanada aussehen, wie deren Attraktivität gesichert wird und welche Anregungen sich daraus für die deutschsprachigen Länder ableiten lassen.
Auch in den Untersuchungsländern rückt die Baby-Boomer-Generation langsam ins Rentenalter vor und auch dort wirken Einsätze zu ungünstigen Zeiten, arbeitsbedingter Stress und die Konfrontation mit menschlichem Leid für junge Menschen oft abschreckend. Allerdings werden viele Anstrengungen unternommen, diese Belastungen abzumildern und die Arbeitsbedingungen zu verbessern – etwa durch verlässliche Einsatzpläne, flexible Arbeitszeitmodelle, z. T. auch höhere Gehälter. Zudem werden Pflegefachpersonen aus dem Ausland angeworben, um den Ersatz- und Zusatzbedarf an Arbeitskräften zu decken. Die komplexen Migrationsfolgen werden sorgfältig beobachtet, noch sind sie aber auch in den Untersuchungsländern nicht zufriedenstellend beantwortet. Um die Pflege insgesamt zukunftsfähiger aufzustellen, werden vor allem aber
- durchlässige und aufeinander aufbauende Bildungsangebote unterbreitet,
- anspruchsvolle Pflegerollen mit erweiterten Kompetenzen etabliert,
- die Selbstbestimmung und Selbstorganisation der Berufsgruppe gestärkt und
- Erprobungs- und Entwicklungsfreiräume in der Versorgungspraxis eröffnet.
Inzwischen führt in den Untersuchungsländern regelhaft die hochschulische Primärausbildung (Bachelor) zur Berufszulassung, daneben gibt es einerseits diverse berufliche Assistenzqualifikationen unterschiedlicher Dauer, andererseits Möglichkeiten zur Weiterbildung in Master- oder Promotionsprogrammen. Klinische Spezialisierungen auf Master-Niveau – etwa für die onkologische Pflege – gehen vielfach mit erweiterten Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Befugnissen einher, darunter auch mit Verordnungs- und Delegationsrechten. Verantwortet werden die Bildungsprogramme von der Pflege selbst, wobei kammerähnliche Einrichtungen für die Qualitätssicherung eine wichtige Rolle spielen. Es gelten Registrierungs- und Fortbildungspflichten, um die Patient*innensicherheit zu gewährleisten. Häufig sind Repräsentanten der Pflege in wichtigen politischen Gremien vertreten – etwa den Gesundheitsministerien – und können dort ihre Perspektiven und Interessen einbringen. So wird gewährleistet, dass stets mit der Pflege, nicht über sie entschieden wird. Praxisentwicklung in Verantwortung der Pflege dient dazu, neue Versorgungsangebote zu erproben und so – in Kooperation mit anderen Gesundheitsberufen und auf Augenhöhe mit ihnen – zu einer sicheren, bedarfsgerechten, personenzentrierten und kooperativen Gesundheitsversorgung beizutragen.
Auch die deutschsprachigen Länder haben in den letzten Jahren Weichen gestellt, um die Pflege attraktiver zu gestalten. Zum Teil werden dabei ähnliche Pfade beschritten wie in den Untersuchungsländern. Jetzt wird es darauf ankommen, nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben, dem Beispiel anderer Länder konsequent zu folgen und diesen Gesundheitsberuf so für künftige Generationen attraktiv zu erhalten.
Univ.-Prof. Dr. Michael Ewers MPH, Institutsdirektor des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Charité – Universitätsmedizin Berlin
Lehmann Y, Schaepe C, Wulff I, Ewers M (2019): Pflege in anderen Ländern: Vom Ausland lernen? Stiftung Münch (Hg.). Heidelberg: medhochzwei