Evidenzbasierte Erstattungsprozesse in Europa Teil 1: Erstattungsentscheidungen zu medizinischen Verfahren in Österreich. Eine Analyse von beeinflussenden Faktoren zugunsten/ gegen Erstattungen am Beispiel des österreichischen Spitals-Leistungskatalogs
Projektleitung: Gregor Goetz
Projektbearbeitung: Gregor Goetz
Laufzeit: September 2020 – November 2020
Sprache: Englisch (mit deutscher Zusammenfassung)
Publikation: https://bmchealthservres.biomedcentral.com/articles/
Hintergrund: In den letzten Jahrzenten gab es einen stetigen Anstieg am Interesse an Health Technology Assessment (HTA), um eine Entscheidung auf Basis der besten verfügbaren klinischen Evidenz treffen zu können [1, 2]. Die jährliche wissenschaftliche Bewertung neuer medizinischer Einzelleistungen (MEL) in Spitälern stellt einen systematischen Ansatz dar, um die klinische Evidenz eines Zusatznutzens der zur Erstattung vorgeschlagenen Interventionen zu erfassen, bevor eine Entscheidung darüber getroffen wird, ob diese im österreichischen Leistungskatalog abgebildet werden. Dabei dienen unabhängige, vom Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA/bis Februar 2020 Ludwig Boltzmann Institut für HTA) durchgeführte Evaluierungen der MELs zu Wirksamkeit und Sicherheit als Entscheidungsgrundlage [3, 4].
Eine rezente Analyse [3]von 69 MEL-Bewertungen im Zeitraum von 2008 und 2017 stellte fest, dass in den meisten Fällen die evidenzbasierte Empfehlung des AIHTAs direkt in Erstattungsentscheidungen umgesetzt wurde. Es bekamen jedoch 15 (21,7%) der MELs eine positive Empfehlung und 25 (36,2%) MELs wurden in den Leistungskatalog aufgenommen. Daher gibt es auch andere Faktoren, die, neben klinischer Evidenz, einen Einfluss auf die Erstattungsentscheidung haben. Eine retrospektive Analyse von 78 MEL-Appraisals (Zeitraum: 2008-2015) zeigte, dass einige Hochrisikoprodukte (für wenige Patient*innen) eine positive Entscheidung bekamen, obwohl dafür geringe klinische Evidenz vorlag. Eine logistische Regressionsanalyse zeigte, dass es keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Variablen, die die Qualität der Evidenz betreffen, und der Erstattungsentscheidung der Produkte der Risikoklasse III gab. Die Risikoklasse war dann ein positiver Prädiktor für die Kostenerstattung, wenn keine RCTs verfügbar waren. Bei Produkten der Risikoklasse II erwies sich die Qualität der Evidenz jedoch als positiver Prädiktor für die Erstattungsentscheidung [5].
Von wissenschaftlichem Interesse ist daher, a) inwiefern und in welchem Ausmaß die Erstattungsentscheidungen der MELs der letzten 10 Jahre ausschließlich die klinische Evidenz berücksichtigten und b) welche weiteren Faktoren neben klinischer Evidenz die Erstattungsentscheidung in diesem Zeitraum beeinflusst haben.
Projektziele und Forschungsfragen: Die Ziele dieses Projekts sind sowohl eine deskriptive Beschreibung der Verteilung der MEL-Bewertungen und subsequenter Entscheidungen als auch Faktoren herauszuarbeiten, die neben der klinischen Evidenz eine positive/negative Erstattungsentscheidung begünstigen könnten. Folgende Forschungsfragen (FF) werden dabei beantwortet:
- FF1: Welche Rolle spielte klinische Evidenz im Erstattungsprozess der medizinischen Einzelleistungen in Österreich in den letzten 10 Jahren?
- FF2: Welche weiteren Faktoren werden im Erstattungsprozess berücksichtigt, um gegebenenfalls zu einer von der Empfehlung abweichenden Entscheidung zu kommen?
Methoden: MEL-Bewertungen des AIHTA und nachfolgende Entscheidungen der jährlichen Wartung des österreichischen Leistungskatalogs zwischen 2010 und 2020 werden im Zuge eines Mixed-Methods-Ansatzes analysiert.
In einem ersten Schritt werden die Daten der durchgeführten MEL-Bewertungen und der nachfolgenden Erstattungsentscheidungen mittels deskriptiver statistischer Methoden analysiert: Die Erstellung eines detaillierten Kodier- und Analyseplans auf Basis der bereits vorhandenen Unterlagen ist hierbei vor der Analyse wesentlich. Der bereits vorhandene Datensatz des AIHTA (Dateneingabe bis zum Jahr 2016) wird vervollständigt und stellt die Datengrundlage der Analyse dar. Relevante Variablen umfassen Informationen von HTA-Berichten wie Intervention, Risikoklasse des Medizinprodukts und Qualität der Evidenz sowie die endgültigen Erstattungsentscheidungen.
In einem zweiten Schritt werden MELs mit einer von der evidenzbasierten Empfehlung abweichenden Entscheidung identifiziert. Darauffolgend werden semi-strukturierte Interviews mit Entscheidungsträger*innen durchgeführt, um weitere Faktoren zu identifizieren, die die Erstattung von MELs – ohne fundierte wissenschaftliche klinische Evidenz – beeinflussen können.
Zeitplan/ Meilensteine:
Periode |
Leistungen |
Mitte September - Mitte Oktober |
Erstellung des Kodier- und Analyseplans, Dateneingabe und deskriptive Analyse |
Mitte Oktober - Mitte November |
Qualitative interviews mit Entscheidungsträgern |
Referenzen:
[1] Perleth M., Jakubowski E. and Busse R. What is 'best practice' in health care? State of the art and perspectives in improving the effectiveness and efficiency of the European health care systems. Health Policy. 2001;56(3):235-250. Epub 2001/06/12. DOI: 10.1016/s0168-8510(00)00138-x.
[2] Velasco Garrido M., Kristensen F. B., Nielsen C. P. and Busse R. Health technology assessment and health policy-making in Europe: Current status, challenges and potential. 2016 [cited 18.03.2020]. Available from: http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0003/90426/E91922.pdf.
[3] Grossmann N., Wolf S., Rosian K. and Wild C. Pre-reimbursement: early assessment for coverage decisions. Wien Med Wochenschr. 2019;169(11-12):254-262. Epub 2019/02/07. Vorab-Erstattung: Fruhbewertungen fur Erstattungsentscheidungen. DOI: 10.1007/s10354-019-0683-1.
[4] Mad P., Geiger-Gritsch S., Hinterreiter G., Mathis-Edenhofer S. and Wild C. Pre-coverage assessments of new hospital interventions on Austria: methodology and 3 years of experience. International journal of technology assessment in health care. 2012;28(2):171-179. Epub 2012/05/09. DOI: 10.1017/s0266462312000025.
[5] Kisser A., Tuchler H., Erdos J. and Wild C. Factors influencing coverage decisions on medical devices: A retrospective analysis of 78 medical device appraisals for the Austrian hospital benefit catalogue 2008-2015. Health Policy. 2016;120(8):903-912. Epub 2016/06/28. DOI: 10.1016/j.healthpol.2016.06.007.