- Aktuelles
- Newsletter
- Newsletter Oktober 2014 | Nr. 131
- Im Reich der Fantasiepreise
Im Reich der Fantasiepreise
Der Fall Sovaldi wirft die grundsätzliche Frage auf, was ein Medikament kosten darf
In Österreich liegt der Preis (für Krankenkassen) derzeit bei 605 Euro pro Stück. Für eine erfolgversprechende Behandlung muss ein/e PatientIn mindestens 12 Wochen lang jeden Tag eine Tablette (in Kombination mit anderen Medikamenten) nehmen – insgesamt also 84. Manchmal dauert die Therapie auch länger. Unter dem Strich macht das mindestens 50.000 Euro pro PatientIn. Dazu kommen noch die Kosten für die Kombinationspräparate in der Höhe von rund 30.000 Euro für 12 Wochen. Die Zahl der Hepatitis-C-Infizierten schätzt man in Österreich auf 30.000 bis 80.000. Im günstigsten Fall würde also die Behandlung aller PatientInnen 2,4 Milliarden Euro betragen. Das wären mehr als 80 Prozent der gesamten jährlichen Ausgaben der österreichischen Sozialversicherung für Arzneimittel von rund 3 Milliarden Euro. Wie gesagt, im günstigsten Fall.
Das Problem betrifft nicht nur Österreich. Ende September kamen alle EU-Länder in Mailand zu einem informellen Meeting zusammen, um Politikoptionen im Umgang mit Sovaldi zu besprechen. Herausgekommen ist nicht viel. Die Teilnehmer rund um EU Gesundheitskommissar Tonio Borg waren sich zwar einig, dass es gemeinsame Strategien brauche, um Preis-Eskalationen zu verhindern und innovative Medikamente für die PatientInnen in allen Mitgliedstaaten – bei gleichzeitig beschränkten Budgets für Gesundheitsleistungen – verfügbar zu machen. Für die Umsetzung fehlte ihnen aber noch ein konkreter Plan.
Besondere Brisanz erhält das Thema vor dem Hintergrund, dass der nominierte Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, angekündigt hat, den Bereich Arzneimittelzulassung und das Medizinprodukterecht aus der Verantwortung des Gesundheitskommissars in den Zuständigkeitsbereich des Kommissars für Binnenmarkt, Industrie und Unternehmertum zu stellen. Gegen diesen Plan hat sich bereits ein Proteststurm erhoben und es gibt erste Signale, dass Juncker seine Entscheidung zurücknehmen könnte. Doch auch im Rahmen der streng geheimen Verhandlungen über die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) zwischen den USA und der EU, ist die Lockerung von Preisverhandlungs- und Erstattungsregeln dem Vernehmen nach auf der Agenda. Sollten sich hier die Liberalisierungsfanatiker durchsetzen, wäre das aus Sicht der solidarischen Versorgungsfinanzierung ein veritabler Alptraum.
Die grundsätzliche Fragen, die der Fall Sovaldi aufwirft, lauten: Was darf ein Medikament kosten und wie kommt der Preis zustande? Laut SPIEGELonline hat der Hersteller, der internationale Pharmakonzern Gilead, alleine im ersten Halbjahr 2014 mit dem neuen Präparat 5,8 Milliarden Dollar eingenommen. Bisher hatte die Pharmazeutische Industrie gerne vorgerechnet, dass die Entwicklung eines neuen Medikaments zwischen 1 bis 1,5 Milliarden Euro betrage. Es gibt allerdings auch Berechnungen, die weit darunter liegen. Wie viel die Entwicklung von Sovaldi gekostet hat, ist nicht bekannt. Kolportiert wird, dass Gilead im Jahr 2011 eine kleine Biotech-Firma, die daran forschte, um 11 Milliarden Dollar gekauft haben soll. Den Börsenkursen von Gilead hat das Investment jedenfalls außerordentlich gut getan. Die Kurse sind in den vergangenen 12 Monaten um 60 Prozent gestiegen.
Für die PatientInnen und die Betroffenen in den Selbsthilfegruppen stellt sich vor allem die Frage, wer nun in den Genuss des neuen Medikamentes kommt und wem auf der anderen Seite das Heilsversprechen verwehrt wird. Österreich zählt zu einer Hand voll Ländern, die es sich (noch) leisten können, Sovaldi auf Kassenkosten abzugeben. Allerdings mit Einschränkungen bei der Verschreibung (derzeit noch in der Roten Box, ab November mit neuen Regeln im Erstattungskodex). Es wird sich zeigen, ob es diejenigen bekommen werden, die es am dringendsten brauchen und bei denen die Wirkung auch am vielversprechendsten ist. Oder ob es die bekommen, die es sich am besten erkämpfen können. Denn ob die neue „Wunderpille“ tatsächlich bei allen Hepatitis-C-PatientInnen gut wirkt, ist noch nicht nachgewiesen. Fest steht allerdings, dass diese gewaltigen Ausgaben in kurzer Zeit die Medikamentenbudgets in schwere Bedrängnis bringen und die Solidarität unter den PatientInnen, Versicherten und Beitragszahlern auf eine schwere Probe stellen. Es zeigt sich aber auch, dass die Preisgestaltung von Gesundheitsleistungen eine ethische Komponente hat, auf die der freie Markt keine Antwort weiß.
Mag. Andrea Fried ist ehemalige Journalistin und seit 2014 Bundesgeschäftsführerin der ARGE Selbsthilfe Österreich
Spiegel (6. Aug. 2014): 700-Euro-Pille von Sovaldi: "Unmoralische Gewinnzahlen" www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/sovaldi-warum-eine-pille-700-euro-kosten-darf-a-984738.html
Finanzen.at: www.finanzen.at/aktien/Gilead_Sciences-Aktie
Die österreichische Sozialversicherung in Zahlen (2014): http://www.sozialversicherung.at/