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- Newsletter Juni 2015 | Nr. 138
- Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen
Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen
Versorgungssituation mit (konstanten) Mängeln
Seit rund 4 Jahren arbeitet das LBI-HTA in Kooperation mit der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Salzburg an einer Evaluierungsstudie zu Behandlungs- und Entwicklungsverläufen von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen. Dieses Projekt wurde mit der Forschungsidee geboren, Primärdaten zu einer in Österreich weitgehend „unerforschten“ PatientInnengruppe zu erheben. Das Projekt ist aber auch von der (sozial)politischen Idee getragen, den Fokus gezielt auf eine Gruppe zu lenken, die erst langsam seit den letzten Jahren mediale und politische Aufmerksamkeit bekommt. Damit eng verwoben sind auch die erbrachten Gesundheitsleistungen, die im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie primär psychiatrisch-therapeutisch-psychologischer Art sind – dabei geht es vorrangig um professionelle, interdisziplinäre Beziehungsarbeit ohne (kostspieliger) High-Tech Medizinapparate.
Die ersten Ergebnisse der Längsschnittstudie zeigen, dass sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch deren Eltern von dem Behandlungsangebot profitieren können. Eine Linderung bzw. Remission von klinischen Symptomen und das Wiedererlangen von sozialen und emotionalen Kompetenzen stellte sich während des (stationären oder ambulanten) Klinikaufenthalts für eine breite Mehrheit der PatientInnen ein. Neben umfassenden, klinischen Ergebnissen zeigt die Studie aber auch, dass nach wie vor eine große Notwendigkeit für den Ausbau einer solidarisch finanzierten, kinder- und jugendpsychiatrischen bzw. –psychotherapeutischen Versorgung in Österreich besteht. So zeigte sich in einer gesundheitsökonomischen Analyse im Rahmen der Salzburger Evaluierungsstudie, dass Eltern bzw. andere nahestehende Personen für Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen bereits vor Klinikaufenthalt hohe, private Ausgaben für Gesundheitsleistungen (vorrangig für Psychotherapie bzw. für fachärztliche Behandlung) haben. Wie zu erwarten, waren die Ausgaben hierfür ungleich höher, je höher der soziale Status der Eltern war. Inwieweit auch private Ausgaben nach einer stationären oder ambulanten, kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung für Eltern anfallen, sollen weitere Ergebnisse der Evaluierungsstudie (Anfang 2016) zeigen.
Vorweg soll jedoch schon auf die Bedeutung der Nachhaltigkeit von Behandlungseffekten verwiesen werden. Ein entscheidendes Kriterium ist hierbei die Verfügbarkeit von entsprechenden, fachlichen Strukturen. In Niederösterreich hat die Gebietskrankenkasse mit der Abschaffung von Kontingenten für Kinder und Jugendliche im Bereich Psychotherapie einen entscheidenden Schritt in Richtung psychotherapeutische Versorgung (ungeachtet der finanziellen Hintergründe) gesetzt. Seit 1. April dieses Jahres steht somit therapeutische Hilfe für alle Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen zur Verfügung. Insgesamt herrscht in Österreich allerdings (nach wie vor) großer Nachholbedarf in Sachen kinder- und jugendpsychiatrischer bzw. –therapeutischer Versorgung.
Der Bedarf ist laut einer aktuellen Erhebung des LBI für Health Promotion Research (LBI-HPR) und der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Wien absolut gegeben: In dieser (ersten) österreichischen Prävalenzstudie ist knapp jede/r fünfte Jugendliche von einem psychischen Problem betroffen. In Kombination mit den Evaluierungsergebnissen des LBI-HTA und der Salzburger Universitätsklinik lässt sich ableiten, dass rasches politisches Handeln gefordert ist, um Kindern und Jugendlichen (unabhängig vom ökonomischen Hintergrund ihrer Herkunftsfamilien) adäquate Hilfe zur Verfügung zu stellen – sowohl im stationären als auch niedergelassenen, ärztlichen und therapeutischen Bereich.
Dr. phil. Roman Winkler, MSc, Wissenschafter am LBI-HTA
Quellen:
Zechmeister-Koss I., Winkler, R., Thun-Hohenstein L., Fritz C., Tüchler, H. (2015) "Services use of children and adolescents before admission to psychiatric inpatient care: an analysis of a clinic cohort". Journal of mental health policy and economics (eingereicht).
Philipp J., Zeiler M., Waldherr K., Nitsch M., Dür W., Karwautz A., Wagner G. (2014). The Mental Health in Austrian Teenagers (MHAT)-Study: preliminary results from a pilot study. In: Neuropsychiatr; 28 (4), pp. 198-207.