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- Newsletter Juni 2023 | Nr. 218
- Editorial: Erkrankungen mit ungedecktem (Forschungs- und Versorgungs-) Bedarf trotz hoher Krankheitslast
Editorial: Erkrankungen mit ungedecktem (Forschungs- und Versorgungs-) Bedarf trotz hoher Krankheitslast
Da es keinen methodischen Goldstandard für die Identifizierung von Krankheiten mit hoher Krankheitslast, die nicht ausreichend erforscht sind, gibt, wurde eine Liste möglicher Krankheiten mit hoher Belastung in der EU aus vier komplementären Herangehensweisen und Perspektiven erstellt. In der ersten Perspektive wurde der Aufwand der EU-Forschungsfinanzierung pro Krankheitsgruppe (basierend auf der Internationalen Klassifikation der Krankheiten, ICD-11) untersucht. Es wurden infolge jene fünf Krankheitsgruppen ausgewählt, für die die geringsten EU-Mittel aufgewendet werden. Im zweiten Schritt wurde die Höhe der Finanzmittel mit der Belastung durch die Krankheiten in Beziehung gesetzt, ausgedrückt in Prävalenz, behinderungsbereinigten Lebensjahren (DALYs), verlorenen Lebensjahren (YLL) und Sterblichkeit (basierend auf der Global Burden of Diseases Studie). Für jeden dieser Belastungsindikatoren wurden die 10 relativ am stärksten unterfinanzierten Erkrankungsgruppen für die Liste ausgewählt und durch die (Gruppen von) Erkrankungen, die unter den Top 50 aller Belastungsindikatoren (d. h. Prävalenz, DALY, YLL und Todesfälle) lagen, ergänzt. Im dritten Schritt wurde eine kurze Literaturrecherche in PubMed durchgeführt, um zu ermitteln, warum (mit welchen Beschwerden) Patient*innen ihre Ärzt*innen häufig aufsuchen. Diese Perspektive führte zu einem Überblick über häufige Beschwerden, Symptome oder Erkrankungen, die als stark belastend (für Patient*innen wie Gesundheitsbudgets) angesehen werden. In der vierten und letzten Perspektive wurden die Beteiligten gebeten, zusätzliche, noch nicht erforschte Erkrankungen mit hoher Belastung anzugeben, was zu 20 zusätzlichen Konditionen führte. Von der endgültigen Liste der Erkrankungen mit hohem Forschungsrückstand wurden folgende ausgeschlossen: a) es handelt sich um eine seltene Krankheit, b) es besteht keine offensichtliche Wissenslücke in Bezug auf Ätiologie und Behandlung der betreffenden Krankheit und c) die Forschungsaufwendungen sind relativ hoch.
Dies führte zur Identifizierung von 12 Gruppen von Erkrankungen: 1. Psychische Beeinträchtigungen (Depression; Angststörung; Autismus), 2. Störungen des Blut- und Organsystems (Chronische Nierenerkrankung; Zirrhose und andere chronische Lebererkrankungen; Zystitis/Harnwegsinfektionen etc.), 3. Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (Arthritis, Rückenschmerzen, Fibromyalgie etc.), 4. Kopfschmerzerkrankungen (Spannungskopfschmerz; Migräne etc.), 5. Müdigkeit/Schwäche (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Müdigkeitssyndrom [ME/CFS]), 6. Schlaf-Wach-Störungen, 7. Hauterkrankungen (Dermatitis; Hidradenitis Suppurativa; Lichen sclerosus), 8. Gynäkologische Beeinträchtigungen (während Schwangerschaft, Entbindung oder Wochenbett; Endometriose etc.), 9. Störungen im Kontext sexueller Gesundheit, 10. Entwicklungsstörungen, 11. Immunkrankheiten (Nahrungsmittelallergie; Autoimmunkrankheiten; etc.), 12. Sonstige (Posturales Tachykardie-Syndrom [POTS]; Chronische Borreliose; etc.).
Die Ergebnisse dieser Studie sollen den politischen Entscheidungsträgern und Forschungsförderern bei der Gestaltung von Programmen für diese Krankheiten als Orientierung dienen, um die Gesundheitsversorgung in der EU zu verbessern. Die Ergebnisse können aber auch herangezogen werden, um tatsächlichen „Unmet Need“ zu benennen.
Priv.-Doz. Dr. Claudia Wild, Geschäftsführerin der HTA Austria – AIHTA GmbH
EC/ EU 2023: Scoping study on evidence to tackle high-burden under-researched medical conditions - discussion paper. https://www.nivel.nl/sites/default/files/bestanden/1004310.pdf https://aihta.at/page/methoden-und-definitionen-zu-unmet-needs-in-healthcare/de.