Home-Treatment in der Kinder- und Jugendpsychiatrie: Eine Analyse zur Wirksamkeit und integrierten Versorgung

Projektleitung: Sarah Wolf
Projektbearbeitung: Sarah Wolf, Nicole Grössmann-Waniek
Laufzeit: April 2020 – November 2020
Sprache: Deutsch
Publikation: HTA Projektbericht Nr. 129: http://eprints.aihta.at/1275/
Hintergrund:
Weltweit gehören psychische Erkrankungen zu den häufigsten Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Die Prävalenzzahlen rangieren zwischen 9 und 22 Prozent [1-2]. Im globalen Vergleich liegt Österreich mit einer Prävalenz von ca. 20 Prozent im oberen Bereich. Beinahe ein Drittel aller zehn bis 18-jährigen Österreicher*innen sind von einer psychischen Erkrankung betroffen [3-4]. Ein Großteil der Kinder und Jugendlichen mit einer psychischen Erkrankung befinden sich jedoch nicht in einer psychologischen oder psychotherapeutischen Behandlung [5].
Die Strukturdefizite von Angeboten beziehen sich sowohl auf die intramurale (voll- und teilstationäre) als auch auf die extramurale Versorgung (niedergelassene Fachärzt*innen und Ambulatorien). Österreichweit stehen nur 50 Prozent der notwendigen Plan-Plätze im intramuralen Bereich tatsächlich zur Verfügung, wobei Kapazitäten über die neun Bundesländer sehr heterogen verteilt sind. Im Vergleich dazu ist die extramurale Versorgung mit rund 25 Prozent ausgebaut [3-4, 6-7]. Aufgrund des Mangels an stationären Plätzen werden erkrankte Kinder und Jugendliche auch im Bereich der Erwachsenenpsychiatrie aufgenommen. Die Erwachsenenpsychiatrie verfügt jedoch weder über die notwendigen Ressourcen noch über speziell geschultes Personal für die Betreuung psychisch erkrankter Minderjähriger [3-4].
Das traditionelle Versorgungsmodell für Kinder und Jugendliche mit einer schweren psychiatrischen Erkrankung war bisher eine spezialisierte, psychiatrische stationäre Behandlung. Solche stationären Therapiekonzepte konzentrieren sich vor allem auf die Symptomlinderung, bergen aber das Risiko der Isolierung des Kindes von familiären und gemeinschaftlichen Beziehungen bzw. vom Bildungssystem. Demnach und vor dem Hintergrund des Mangels an stationären Plätzen für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche sind alternative Ansätze, wie intensive, integrierte und häusliche psychiatrische Programme anzudenken [8]. Eine Form stellt das Home-Treatment für psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen dar. Dabei wird dieselbe Behandlungsintensität wie im stationären Kontext gewährleistet, ohne die Kontinuität der persönlichen Beziehungen (familiär, sozial oder schulisch) zu unterbrechen [10].
Generell können zwei Formen von Home-Treatments unterschieden werden: Eine zeitlich begrenzte Behandlung als akute Krisenintervention oder eine mittelfristige Behandlungsperiode (ca. 3-6 Monate), die das komplette Angebot einer multidisziplinären Behandlung – vergleichbar mit dem stationären Setting – umfasst. Ziele dieser zur stationären Versorgung alternativen Behandlungsmethode sind beispielsweise die Vermeidung von Chronifizierungen (durch eine frühzeitigere Behandlung) und daraus resultierende medizinische bzw. soziale Folgekosten, sowie eine Reduktion der „drop-out“-Raten. Zeitgleich können Folgen der Überlastung im stationären Setting vermieden werden. Darüber hinaus hat insbesondere die Einbindung der Bezugspersonen (z.B. Eltern) beim Home-Treatment eine große Bedeutung, um eine nachhaltigere Wirkung der Intervention erzielen zu können [9-10].
Projektziele und Forschungsfragen:
Ziele des Projektes sind einerseits eine systematische Übersicht zur Wirksamkeit und Sicherheit von Home-Treatment-Modellen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und andererseits die Analyse von Modellen für eine mögliche Integrierung jener Home-Treatment-Behandlungen, die sich als nutzbringend erwiesen haben, in österreichische Versorgungsstrukturen.
Eine detaillierte Planung bzw. Umsetzung eines Home-Treatment-Modells in Österreich bzw. in eines der neun österreichischen Bundesländer ist im Rahmen dieses Projekts nicht vorgesehen.
Aus dem Projektziel ergeben sich folgende Forschungsfragen (FF):
- FF1: Wie wirksam und sicher sind Home-Treatment-Modelle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und für welche Indikationen?
- FF2: Wie sind die wirksamen Modelle ausgestaltet (Personal- und Organisationsstruktur, Behandlungskonzepte, etc.)?
- FF3: Wie sind die wirksamen und sicheren Home-Treatment-Modelle in die bestehenden Versorgungsstrukturen integriert und welche Voraussetzungen / Kriterien einer erfolgreichen Integration bzw. koordinierten Versorgung lassen sich davon ableiten?
- FF4: Wie und unter welchen Voraussetzungen könnte eine Integration eines Home-Treatment-Modells in die aktuelle kinder- und jugendpsychiatrische Landschaft in Österreich aussehen?
Methoden:
Zur Beantwortung der vier Forschungsfragen werden folgende Methoden eingesetzt:
- FF1 bis 3: Systematische Übersicht zu Wirksamkeit und Sicherheit von Home-Treatment-Modellen, sowie Eigenschaften und Integration der wirksamen Modelle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
- FF4: Grobe Übersicht zur aktuellen kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgungslandschaft in Österreich (mit 1-2 Bundesländern als Fallbeispiel), Kontrastierung mit den internationalen Modellen, Expert*innenbefragung, Analyse von Modellen für eine mögliche Integrierung in österreichische Versorgungsstrukturen.
In einem ersten Schritt wird eine systematische Literatursuche für die Beantwortung der FF1 bis FF3 durchgeführt. Die Literatur wird unter Berücksichtigung der vordefinierten Ein- und Ausschlusskriterien ausgewählt. Alle Prozessschritte (Literaturauswahl, Extraktion, ggf. Qualitätsbewertung) werden von einer Wissenschafterin durchgeführt und von einer zweiten Wissenschafterin kontrolliert. Im Anschluss an die Literaturbeschaffung werden die erhobenen Outcomes extrahiert bzw. zusammengefasst.
Einschlusskriterien für die systematische Literaturauswahl
Population |
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer psychischen Diagnose (F-Diagnose nach ICD-10) mit Indikation zur akutstationären Behandlung |
Intervention |
Home-Treatment als kurzfriste Behandlung in akuten Krisen oder mittelfristige (3-6 Monate) aufsuchenden Behandlung zur Verkürzung bzw. Vermeidung von stationären Aufenthalten |
Kontrolle |
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Outcomes |
FF1:
FF2:
FF3:
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Studiendesign |
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Publikations-zeitraum |
2000 bis 05/2020 |
Ausschlusskriterien für die systematische Literaturauswahl
Population |
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer psychischen Diagnose (F-Diagnose nach ICD-10) in einem selbstgefährdendem, suizidalem und/oder lebensgefährlichem körperlichen Zustand |
Intervention |
Langfristige (z.B. über mehrere Jahre) oder präventive Home-Treatment-Modelle |
Kontrolle |
- |
Outcomes |
- |
Studiendesign |
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Publikations-zeitraum |
- |
Für die Beantwortung der FF4 wird eine erweiterte manuelle Literatursuche von Dokumenten zur österreichischen kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgungslandschaft durchgeführt. Zur Kontextualisierung einer möglichen Integrierung von Home-Treatment-Modellen in die österreichische Versorgungslandschaft wird ergänzend eine Befragung von 3-5 österreichischen kinder- und jugendpsychiatrischen Expert*innen (aus unterschiedlichen Disziplinen) und eines betroffenen Jugendlichen durchgeführt.
Zeitplan/ Meilensteine:
Periode |
Leistungen |
April-Mai 2020 |
Scoping: Erstellung des Projektprotokolls, systematische Literaturrecherche & Literaturauswahl, erweiterte manuelle Suche |
Juni – Juli 2020 |
Datenextraktion & Datensynthese |
Juli – Aug 2020 |
Expert*innenkonsultation |
Aug– Sep 2020 |
Berichterstellung |
Anfang Okt – Mitte Okt 2020 |
Interner Review |
Mitte Okt – Ende Okt 2020 |
Externer Review |
Anfang Nov – Mitte Nov 2020 |
Layout und Finalisierung |
Referenzen:
[1] Boege I, Schepker R und Jörg M.F. Vom Hometreatment zur stationsäquivalenten Behandlung (StäB): Ein systematischer Review aufsuchender Behandlung in Deutschland. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie (2020), 1-12.
[2] Wagner G, Zeiler M, Waldherr K, et al. Mental health problems in Austrian adolescents: a nationwide, two-stage epidemiological study applying DSM-5 criteria. Eur Child Adolesc Psychiatry (2017), 26: 1483-1499.
[3] Thun-Hohenstein L, Fliedl R, Sevecke K, et al. Zukunft der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Österreich. Neuropsychiatr (2017), 31:144-149.
[4] Sonderbericht der Volksanwaltschaft (2017). Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen. Zugegriffen am 27.04.2020: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/III/III_00055/imfname_675750.pdf
[5] Fuchs M, Karwautz A. Epidemiologie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen: Eine narrative Übersichtsarbeit unter Berücksichtigung österreichischer Daten. Neuropsychiatr (2017), 31:96-102.
[6] Hartl C und Karwautz A. Zehn Jahre Kinder- und Jugendpsychiatrie in Österreich: ein neues ärztliches Sonderfach in den Strukturen des Gesundheitswesens. Neuropsychiatr (2017), 31:103-111.
[7] Competence Center Integrierte Versorgung (2016). Nahtstellenmanagement in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten: Identifizierung konkreter Problembereiche an den Schnittstellen zur Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Fokus auf Netzwerke. Zugegriffen am 27.04.2020: https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.637782&version=1487064484
[8] Schmidt M.H, Lay B, Göpel C, et al. Home treatment for children and adolescents with psychiatric disorders. Eur Child Adolesc Psychiatry (2006),15:265–276.
[9] Boege I, Schepker R, Herpertz-Dahlmann B et al. Hometreatment: Eine effektive Alternative zu konventionellen Behandlungsformen? Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2015), 43(6): 411-423.
[10] Informationen von Auftraggebern.