Maßnahmen zur Verringerung der Stigmatisierung von Personen mit Übergewicht oder Adipositas im Gesundheitssektor
Projektleitung: Sarah Wolf
Projektbearbeitung: Sarah Wolf, Julia Kern
Laufzeit: Mitte April bis Mitte November 2024
Sprache: Deutsch (mit ausführlicher englischer Zusammenfassung)
Hintergrund:
Die weltweit steigenden Raten von Übergewicht und Adipositas gehen mit zunehmender Gewichtsstigmatisierung einher [1, 2]. Gewichtsstigmatisierung, auch bekannt als "Weight Stigma", bezieht sich auf die gesellschaftliche Abwertung von Personen aufgrund ihres Körpergewichts [3, 4]. Begünstigt wird dies durch gesellschaftliche Normen und Vorurteile gegenüber Personen mit Übergewicht oder Adipositas, bekannt als "Weight Bias" [2, 5, 6]. Ausgehend von "Weight Bias" und "Weight Stigma" manifestiert sich letztlich Gewichtsdiskriminierung in offensichtlichen Verhaltensweisen gegen Menschen mit einem abweichenden Körpergewicht [5]. Im folgenden Projekt wird Gewichtsstigmatisierung – „Weight Stigma“ als Überbegriff verwendet.
Vorurteile und Diskriminierung aufgrund des Körpergewichts finden sich in vielen Bereichen, einschließlich des Gesundheitswesens [4, 5, 7]. Studien aus verschiedenen Ländern zeigten, dass ungefähr zwei Drittel der erwachsenen Personen mit Übergewicht oder Adipositas berichteten, dass sie von Gesundheitsfachkräften wegen ihres Gewichts diskriminiert wurden [2]. Gesundheitsdienstleister*innen verschiedener Fachrichtungen neigen häufig dazu, bewusste und unbewusste Stereotypen über Patient*innen mit Übergewicht oder Adipositas zu äußern. Dazu gehören Annahmen darüber, dass diese Patient*innen faul sind, es ihnen an Motivation und Willenskraft fehlt, sie eine schlechte Selbstkontrolle haben, unzureichendes Selbstmanagement zeigen und Behandlungen vorzeitig abbrechen. Diese Gewichtsvorurteile seitens des medizinischen Personals („Professional Weight Bias“) können sich in unzureichender Kommunikation mit den Patient*innen zeigen, wie zum Beispiel durch unsensible und stigmatisierende Sprache sowie fehlende Berücksichtigung der Bedürfnisse und Wünsche der Patient*innen [1, 2, 4, 6]. Darüber hinaus gibt es im Gesundheitswesen stigmatisierende strukturelle Barrieren, wie beispielsweise zu kleine Stühle im Wartezimmer, zu enge Blutdruckmanschetten, oder Waagen, die nicht für alle Gewichtsbereiche ausgelegt sind [5]. Von Seiten der Patient*innen kann Gewichtsstigmatisierung in weniger Vertrauen in das medizinische Personal, Verzögerungen bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und sogar im vorzeitigen Abbruch der Behandlung resultieren. Darüber hinaus kann es zu Fehldiagnosen und unzureichenden Behandlungen kommen, wenn z.B. genannte Vorurteile die Anamnese beeinflussen [1, 4, 6, 7]. Gewichtsstigmatisierung kann demnach das Risiko für gesundheitliche Probleme unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung erhöhen [4]. Trotzdem können die gesundheitlichen Auswirkungen bei bestimmten Minderheitengruppen, wie ethnischen Minderheiten, unter anderem aufgrund des häufigeren Vorkommens von Mehrgewicht und dem damit verbundenen erhöhten Risiko für Gewichtsstigmatisierung stärker ausgeprägt sein [4].
2016 forderte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dazu auf, Diskriminierung im Gesundheitswesen zu beseitigen, darunter auch Vorurteile aufgrund des Körpergewichts [8]. Zusätzlich verdeutlicht die hier aufgeführte Hintergrundliteratur die Notwendigkeit, eine faire Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, besteht darin, Gewichtsstigmatisierung im Gesundheitswesen abzubauen [4, 9]. Dabei sollten Maßnahmen berücksichtigt werden, die sich an das Gesundheitspersonal richten, wie zum Beispiel Schulungen zur Sensibilisierung für Gewichtsvorurteile und zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeiten. Gleichzeitig sollten strukturelle Barrieren identifiziert und abgebaut, sowie neue, gewichtsneutrale Konzepte wie "health at every size" beachtet werden [1, 10].
Projektziele:
Das Hauptziel des Projekts ist es, die wissenschaftliche Literatur zu Maßnahmen, die zur Reduzierung der Stigmatisierung von Personen mit Übergewicht oder Adipositas im Gesundheitswesen beitragen können, systematisch zu erfassen. Daraus ergeben sich folgende zwei Forschungsfragen:
- Welche Maßnahmen werden zur Verringerung von Gewichtsstigmatisierung im Gesundheitssektor empfohlen bzw. welche Maßnahmen werden in der Literatur besprochen?
- Wie wirksam sind Maßnahmen zur Verringerung der Stigmatisierung von Personen mit Übergewicht oder Adipositas im Gesundheitswesen?
Darüber hinaus wird im Rahmen eines umfassenden Hintergrundkapitels auf die Arten und das Ausmaß der Stigmatisierung von Personen mit Übergewicht oder Adipositas im Gesundheitswesen eingegangen und sowie auf die Frage welche Konsequenzen damit einhergehen können. Dieses ausführliche Hintergrundkapitel wird der besseren Verständlichkeit des Themas dienen.
Nicht-Ziele:
Das Projekt hat NICHT zum Ziel:
- einen Überblick zu Projekten aus verschiedenen Ländern außerhalb von Leitlinien und wissenschaftlicher Literatur zu geben.
- eine systematische Übersichtsarbeit zu Prävalenz, Ursachen und Konsequenzen der Stigmatisierung von Personen mit Übergewicht oder Adipositas im Gesundheitswesen durchzuführen.
Methoden:
Leitliniensynopse & Overview of Reviews
Für die Beantwortung der ersten Forschungsfrage wird einerseits eine manuelle Suche nach internationalen Leitlinien, sowie publizierten Positions- bzw. Konsenspapieren durchgeführt. Darüber hinaus wird eine systematische Literatursuche in mehreren Datenbanken durchgeführt, woraus relevante Reviews herangezogen werden. Nach der Identifikation der relevanten Literatur werden die empfohlenen Maßnahmen zur Reduktion von Gewichtsstigmatisierung im Gesundheitswesen in vorgefertigte Tabellen, unterteilt in vorab definierte Kategorien, extrahiert und narrativ zusammengefasst. Eine Qualitätsbewertung der ausgewählten Literatur zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage wird nicht durchgeführt.
Systematische Übersichtsarbeit zur Wirksamkeit
Für die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage werden ergänzend zur systematischen Literatursuche gezielte manuelle Suchen durchgeführt. Nach Auswahl der Literatur wird die identifizierte Evidenz zur Wirksamkeit von Maßnahmen, die zur Verringerung von Gewichtsstigmatisierung im Gesundheitswesen eingesetzt werden können, in vorgefertigte Tabellen extrahiert und anschließend narrativ zusammengefasst. Dabei wird dieselbe Kategorisierung wie bei Forschungsfrage 1 herangezogen. Abhängig von der Anzahl der identifizierten systematischen Reviews werden Primärstudien ein- bzw. ausgeschlossen. Für die ausgewählte Literatur wird eine Qualitätsbewertung mit geeignetem Tool abhängig vom Studiendesign durchgeführt.
Alle Arbeitsschritte zur Beantwortung der beiden Forschungsfragen (Literaturauswahl, Qualitätsbewertung, Datenextraktion und –synthese) werden im 4-Augenprinzip von den zwei Autorinnen (SW und JK) durchgeführt.
PICO-Analyse:
Population |
Adressat*innen der Intervention, z.B. Gesundheitsfachkräfte (Ärzt*innen, Pfleger*innen, Therapeut*innen), Gesundheitsfachkräfte in Ausbildung, Organisationen im Gesundheitswesen und deren Managementebene, Gesundheitspolitik, Personen mit Übergewicht oder Adipositas Schlüsselworte: weight bias/stigma*/discrimination; obesity bias/stigma*/discrimination; fat phobia; anti-weight bias; sizeism |
Intervention |
Maßnahmen … …die zur Reduktion von Gewichtsstigmatisierung im Gesundheitswesen eingesetzt werden können bzw. … um einen Stigma-freien Umgang mit Personen mit Übergewicht oder Adipositas im Gesundheitswesen zu erreichen. |
Kontrolle |
- |
Outcomes |
Forschungsfrage 1:
Forschungsfrage 2:
|
Publikationsart |
Forschungsfrage 1:
Forschungsfrage 2:
|
Länder |
Globaler Norden |
Sprachen |
Forschungsfrage 1: Englisch, Deutsch, ggf. andere Nationalsprachen[1] Forschungsfrage 2: Englisch, Deutsch |
Zeitplan:
Zeitfenster |
Tasks |
April 2024 |
Scoping und Finalisierung des Projektprotokolls |
Mai 2024 |
|
Juni 2024 |
Datenextraktion und Qualitätsbewertung |
Juli – August 2024 |
Verschriftlichung |
September - Oktober 2024 |
Interner und externer Review |
November 2024 |
Layout & Veröffentlichung |
Referenzen:
[1] Forray A., Johnson K. and Chereche? R. M. Combating Weight Stigma in Healthcare: A Cross-Country Analysis and Intervention Initiative. Eur J Public Health. 2023;33(Suppl 2). DOI: 10.1093/eurpub/ckad160.887.
[2] O'Donoghue G., Cunningham C., King M., O'Keefe C., Rofaeil A. and McMahon S. A qualitative exploration of obesity bias and stigma in Irish healthcare; the patients' voice. PLoS One. 2021;16(11):e0260075. DOI: 10.1371/journal.pone.0260075.
[3] Westbury S., Oyebode O., van Rens T. and Barber T. M. Obesity Stigma: Causes, Consequences, and Potential Solutions. Curr Obes Rep. 2023;12(1):10-23. DOI: 10.1007/s13679-023-00495-3.
[4] Weight Stigma in Healthcare. Supportive Obesity Care [cited 17.04.2024]. Available from: https://supportiveobesitycare.rudd.center.uconn.edu/weight-stigma-in-healthcare/.
[5] Alberga A. S., Pickering B. J., Alix Hayden K., Ball G. D., Edwards A., Jelinski S., Nutter S., Oddie S., Sharma A. M. and Russell-Mayhew S. Weight bias reduction in health professionals: a systematic review. Clin Obes. 2016;6(3):175-188. DOI: 10.1111/cob.12147.
[6] Ryan L., Coyne R., Heary C., Birney S., Crotty M., Dunne R., Conlan O. and Walsh J. C. Weight stigma experienced by patients with obesity in healthcare settings: A qualitative evidence synthesis. Obes Rev. 2023;24(10):e13606. DOI: 10.1111/obr.13606.
[7] Gupta N., Bombak A., Foroughi I. and Riediger N. Discrimination in the health care system among higher-weight adults: evidence from a Canadian national cross-sectional survey. Health Promot Chronic Dis Prev Can. 2020;40(11-12):329-335.
[8] Weight bias and obesity stigma: considerations for the WHO European Region. World Health Organization: 2017 [cited 17.04.2024]. Available from: https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/353613/WHO-EURO-2017-5369-45134-64401-eng.pdf?sequence=1&isAllowed=y.
[9] van der Voorn B., Camfferman R., Seidell J. C., Puhl R. M. and Halberstadt J. Weight-biased attitudes about pediatric patients with obesity in Dutch healthcare professionals from seven different professions. J Child Health Care. 2023;27(2):243-252. DOI: 10.1177/13674935221133953.
[10] Fruh S. M., Nadglowski J., Hall H. R., Davis S. L., Crook E. D. and Zlomke K. Obesity Stigma and Bias. J Nurse Pract. 2016;12(7):425-432. DOI: 10.1016/j.nurpra.2016.05.013.
[1] Abhängig davon, wie viele Leitlinien und publizierte Positions- und Konsenspapiere in Deutsch oder Englisch identifiziert werden, werden zusätzlich Leitlinien bzw. Papiere in Originalsprache ein- oder ausgeschlossen. Bei Einschluss werden die Texte mit Hilfe eines Online-Tools übersetzt.