Modelle zur Prävention und Versorgung peripartaler psychischer Erkrankungen
Projektleitung: Inanna Reinsperger
Projektbearbeitung: Inanna Reinsperger (Erstautorin, AIHTA), Jean Paul (Zweitautorin, MUI)
Laufzeit: April 2022 – November 2022
Sprache: Englisch mit deutscher Zusammenfassung
Dieser Bericht ist Teil des Projekts "Mitgestaltung der peripartalen psychiatrischen Versorgung in Tirol", an dem das AIHTA als Partner beteiligt ist (Träger: Medizinische Universität Innsbruck)
Publikation: HTA Projektbericht Nr. 148: https://eprints.aihta.at/1420/
Hintergrund: Psychische Erkrankungen sind eine häufige und schwerwiegende Komplikation der Schwangerschaft und der Zeit nach der Geburt: Etwa 20 % der Frauen und 10 % der Männer leiden unter peripartalen psychischen Problemen (z.B. Depressionen, Angststörungen oder postpartalen Psychosen) während der Schwangerschaft oder im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes [1, 2]. Peripartale psychische Erkrankungen tragen in erheblichem Maße zur Müttersterblichkeit und zu unerwünschten Ereignissen bei Neugeborenen, Säuglingen und Kindern bei [3]. Daher ist die peripartale psychische Gesundheit in den letzten Jahren in den Fokus gerückt [3]; und hat mit der Covid-19-Pandemie und den damit verbundenen Auswirkungen auf Familien noch mehr an Bedeutung gewonnen [4].
Peripartale psychische Gesundheitsdienste umfassen die Prävention, Erkennung und Behandlung peripartaler psychischer Probleme, einschließlich neu auftretender Erkrankungen, Rückfälle früherer Erkrankungen sowie psychischer Probleme, die bereits vor Beginn der Schwangerschaft bestehen [5]. Da die Förderung des emotionalen und körperlichen Wohlbefindens und der Entwicklung des Säuglings ein wesentlicher Bestandteil der Versorgung von peripartalen psychischen Problemen ist, ist ein integrierter Ansatz für die peripartale und kindliche psychische Gesundheit („perinatal and infant mental health“, PIMH) erforderlich, der nicht nur die Behandlung der psychischen Erkrankung der Eltern umfasst, sondern auch z.B. Stress in der Eltern-Kind-Beziehung, problematisches Erziehungsverhalten oder mangelndes Vertrauen in die Elternschaft adressiert, das Kind als eigene Persönlichkeit mit ihren Bedürfnissen sieht sowie mit der Eltern-Kind-Dyade arbeitet [6]. Anderes einschlägiges Gesundheitspersonal wie z.B. Hebammen oder Kinderärzt*innen sollten im Kontext von PIMH ebenfalls berücksichtigt werden, da sie z.B. von den Eltern bei Symptomen des Säuglings (z.B. übermäßiges Schreien, Fütterungsprobleme) konsultiert werden, die wiederum mit der psychischen Gesundheit der Eltern in Zusammenhang stehen könnten (bidirektionaler Charakter der psychischen Gesundheit). Eine Reihe von Fachpersonen, Organisationen und informellen Betreuungspersonen kann an der Prävention und Versorgung peripartaler psychischer Probleme während der Schwangerschaft und nach der Geburt beteiligt sein. Dies erfordert z.B. Koordination, Zusammenarbeit und integrierte Versorgungsmodelle, klar definierte Überweisungspfade und Zuständigkeiten, gut ausgebildete Gesundheitsfachkräfte und Kontinuität der Versorgung [7, 8].
In Tirol gibt es eine Reihe von Diensten, die Familien in dieser Zeit unterstützen (z.B. Frühe Hilfen). Außerdem gibt es in Österreich ein nationales Screening-Programm (Mutter-Kind-Pass), das den Zeitraum von der Schwangerschaft bis zum Alter des Kindes von 5 Jahren abdeckt. Ein routinemäßiges universelles Screening oder Assessment für peripartale psychische Erkrankungen ist noch nicht vorgesehen, obwohl dies in mehreren evidenzbasierten Leitlinien empfohlen wird [9].
Die verfügbaren Dienste sind in der Regel unkoordiniert und können dazu führen, dass der Bedarf an psychosozialer Versorgung in den betroffenen Familien nicht erkannt wird oder dass die Versorgung nicht angemessen ist. Mehrere Länder, wie z.B. UK und Australien, haben in den letzten Jahren ihre Aktivitäten im Bereich der peripartalen psychischen Gesundheitsversorgung verstärkt, z.B. durch die Entwicklung neuer Versorgungsmodelle, die Stärkung der Versorgungsstrukturen oder die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen, um die Situation der betroffenen Familien zu verbessern [3, 10].
Ziel des Reviews. Ziel des Reviews ist es, einen Überblick über internationale Modelle und Versorgungspfade zur Prävention und Versorgung peripartaler psychischer Erkrankungen (PIMH) aus ausgewählten Ländern zu geben und ihre Charakteristika sowie Implementierungsanforderungen zu analysieren und zu beschreiben.
Der Review wird im Rahmen des vom FWF finanzierten Forschungsprojekts "Co-designing perinatal mental health support in Tyrol" durchgeführt, das die partizipative Entwicklung und Implementierung eines konkreten Verbesserungsansatzes zur peripartalen psychischen Gesundheit in Tirol zum Ziel hat.
Forschungsfragen: Die folgenden Forschungsfragen (FF) sollen in diesem Review beantwortet werden:
- FF1: Welche Modelle zur Prävention und Versorgung peripartaler psychischer Erkrankungen wurden in ausgewählten Ländern empfohlen? Welche Empfehlungen lassen sich aus evidenzbasierten Leitlinien zur integrierten PIMH-Versorgung identifizieren?
- FF2: Welche Charakteristika weisen die identifizierten Modelle und Versorgungspfade auf, z.B. in Bezug auf die Zielgruppen, involvierte Berufsgruppen, "Komponenten"/verschiedene Angebote, Koordinierung, Zuständigkeiten im Gesundheits- und Sozialwesen, …?
- FF3: Welche Empfehlungen für eine erfolgreiche Leistungserbringung und Informationen über Anforderungen an die Leistungserbringung lassen sich aus den identifizierten Versorgungsmodellen und -pfaden ableiten?
Methoden: Zur Beantwortung der Forschungsfragen kommen folgende Methoden zum Einsatz:
FF1: Identifizierung von Versorgungsmodellen/-pfaden sowie Leitlinienempfehlungen
- umfassende Handsuche in Datenbanken und auf Webseiten von relevanten Institutionen (z.B. Gesundheitsministerien, Public Health Institutionen, relevante Leistungsanbieter) nach Berichten, Policy Dokumenten & Artikeln zu PIMH-Modellen und Versorgungspfaden
- umfassende Handsuche in Leitliniendatenbanken (Guideline International Network, TRIP-Datenbank) und auf Webseiten von Institutionen, die evidenzbasierte Leitlinien erstellen, nach Leitlinien zu PIMH-Versorgungsmodellen
- Kontaktaufnahme mit Expert*innen zur Ermittlung relevanter Dokumente
- Einschätzung/Bewertung der Qualität der identifizierten Leitlinien (mittels AGREE-II) und der Dokumente/Berichte über Versorgungsmodelle (anhand vordefinierter Kriterien, z.B. Evidenzbasis der Modelle; transparente Beschreibung der Entwicklung der Modelle)
- tabellarische Darstellung und Beschreibung der identifizierten PIMH-Versorgungsmodelle und –pfade
FF2: Merkmale der identifizierten PIMH-Versorgungsmodelle
- induktive Identifizierung von Kategorien, die die Charakteristika der identifizierten PIMH-Versorgungsmodelle und -pfade beschreiben, z.B. Zielgruppen, Berufsgruppen, Angebote, …
- Datenextraktion für jede Kategorie in narrativer Form
- tabellarische Darstellung, qualitative Inhaltsanalyse jeder Kategorie und narrative Synthese
FF3: Anforderungen an die Leistungserbringung für die identifizierten PIMH-Versorgungsmodelle
- Datenextraktion der verfügbaren Informationen über die Anforderungen an die Leistungserbringung der identifizierten PIMH-Versorgungsmodelle und -pfade
- tabellarische Darstellung, qualitative Inhaltsanalyse und narrative Synthese
Einschlusskriterien für relevante Versorgungsmodelle:
Population |
Parents with a mental health problem during pregnancy and in the first year after birth and their infants |
Intervention |
Perinatal and infant mental health care models and care pathways |
‘extracted’ categories |
Characteristics of care models: e.g.,
Requirements for delivery of PIMH care models: e.g.,
|
Study Design |
All types of studies: e.g., policy documents, reports, evidence-based guidelines, (systematic) reviews, … |
Setting |
Countries of the Global North |
Languages |
English, German |
Search period |
until May 2022 |
Zeitplan:
April – Mai 2022 |
|
Mai – Juni 2022 |
|
Juli 2022 |
|
August - September 2022 |
|
Oktober - November 2022 |
|
References:
[1] Darwin Z., Domoney J., Iles J., Bristow F., Siew J. and Sethna V. Assessing the Mental Health of Fathers, Other Co-parents, and Partners in the Perinatal Period: Mixed Methods Evidence Synthesis. Front Psychiatry. 2020;11:585479. Epub 2021/01/30. DOI: 10.3389/fpsyt.2020.585479.
[2] O'Hara M. W. and Wisner K. L. Perinatal mental illness: definition, description and aetiology. Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol. 2014;28(1):3-12. Epub 2013/10/22. DOI: 10.1016/j.bpobgyn.2013.09.002.
[3] Howard L. M. and Khalifeh H. Perinatal mental health: a review of progress and challenges. World Psychiatry. 2020;19(3):313-327. Epub 2020/09/16. DOI: 10.1002/wps.20769.
[4] Papworth R., Harris A., Durcan G., Wilton J. and Sinclair C. Maternal mental health during a pandemic. A rapid evidence review of Covid-19's impact. London, Centre for Maternal Health: 2021 [cited 27/04/2022]. Available from: https://maternalmentalhealthalliance.org/wp-content/uploads/CentreforMH_MaternalMHPandemic_FullReport.pdf.
[5] Joint Commissioning Panel for Mental Health. Guidance for commissioners of perinatal mental health services. 2012 [cited 25/04/2022]. Available from: https://mentalhealthpartnerships.com/wp-content/uploads/sites/3/jcpmh-perinatal-guide.pdf.
[6] Lim I., Newman-Morris V., Hill R., Hoehn E., Kowalenko N., Matacz R., et al. You can't have one without the other: The case for integrated perinatal and infant mental health services. Aust N Z J Psychiatry. 2022:48674221083874. Epub 2022/03/09. DOI: 10.1177/00048674221083874.
[7] Webb R., Uddin N., Ford E., Easter A., Shakespeare J., Roberts N., et al. Barriers and facilitators to implementing perinatal mental health care in health and social care settings: a systematic review. Lancet Psychiatry. 2021;8(6):521-534. Epub 2021/04/11. DOI: 10.1016/S2215-0366(20)30467-3.
[8] Royal College of Psychiatrists. Perinatal mental health services: Recommendations for the provision of services for childbearing women. 2021 [cited 27/04/2022]. Available from: https://www.rcpsych.ac.uk/improving-care/campaigning-for-better-mental-health-policy/college-reports/2021-college-reports/perinatal-mental-health-services-CR232.
[9] Reinsperger I. Parent-Child-Pass Update 2020/21 – Screenings for mental health, nutrition and social competence. AIHTA Policy Brief 005. Vienna: 2021. Available from: https://eprints.aihta.at/1303/.
[10] Royal Australian and New Zealand College of Psychiatrists. Perinatal mental health services. Position statement 57. 2021 [cited 27/04/2022]. Available from: https://www.ranzcp.org/news-policy/policy-and-advocacy/position-statements/perinatal-mental-health-services.