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- Newsletter Mai 2025 | Nr. 237
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Editorial: Bewertungsboard: AIHTA zieht positive Bilanz
Als eine zentrale Maßnahme der Gesundheitsreform wurde im September 2024 in Österreich das Bewertungsboard eingerichtet. Die Geschäftsstelle befindet sich im Gesundheitsministerium. Die Aufgabe des 26-köpfigen Boards ist es insbesondere, Anwendungsempfehlungen für hochpreisige bzw. spezialisierte Arzneimittel zu erstellen, die im Krankenhaus oder an der Schnittstelle zum niedergelassenen Bereich verabreicht werden.
Nach einem halben Jahr Erfahrung und vier Evidenzanalysen können wir als AIHTA eine sehr erfreuliche Bilanz ziehen. Zum ersten Mal werden für Spitalsmedikamente österreichweit einheitliche umfassende Evidenzanalysen nach internationalen HTA-Standards erstellt. Diese liefern Informationen zu zahlreichen entscheidungsrelevanten Aspekten rund um das jeweilige Arzneimittel. Sie beschreiben das Krankheitsbild, bisherige Behandlungsmöglichkeiten, die Entwicklungskosten, Eigenschaften, Erwartungen und Anwendung der ausgewählten neuen Arzneispezialität, den klinischen Zusatznutzen und die Sicherheit im Vergleich zu den bestehenden Behandlungsalternativen inklusive der bestehenden Unsicherheiten sowie der budgetären, organisatorischen, sozialen und ethischen Auswirkungen. Standardmäßig ist auch eine Kosteneffektivitätsanalyse vorgesehen, die von den Unternehmen vorzulegen ist. Kleine Kritik am Rande: Diese wurden bei den ersten drei abgeschlossenen Bewertungen nicht übermittelt. Somit fehlten wichtige Informationen zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit.
Wie vorgesehen, wurden Patientenvertreter:innen und Kliniker:innen systematisch in die Erstellung der HTAs eingebunden. Dadurch konnten die Perspektive der Patient:innen, die Praxisrelevanz und die klinische Expertise explizit berücksichtigt werden. Im Unterschied zur bisherigen Situation können nun auf Basis des HTAs einheitliche Anwendungsempfehlungen für alle Patient:innen in Österreich erstellt werden – unabhängig davon, ob sie am Bodensee oder Neusiedlersee wohnen. Auch Preisverhandlungen können nun zentral geführt werden. Ungleiche Information zwischen den Verhandler:innen – ein essenzieller Faktor für Marktversagen im Gesundheitssystem und eine der wesentlichen Ursachen für Ineffizienzen – werden mit den einmalig aufbereiteten und für alle zugänglichen Fakten reduziert. Das stellt eine zentrale Voraussetzung für eine faire Verhandlungssituation dar.
Ein weiterer Vorteil: Die verantwortlichen Kosten- und Krankenanstaltenträger werden gezielt auf die Implementierung hochkomplexer neuer Therapien, die oft besondere Logistik, Kapazitäten und Spezialist:innen erfordern, vorbereitet. Nicht zuletzt wird ein wesentlicher Fortschritt in der Transparenz erreicht, da sowohl die Anwendungsempfehlungen als auch die HTA-Berichte veröffentlicht werden.
Bei Therapien, die nicht selten mit Behandlungskosten pro Patient:in in Millionenhöhe einhergehen, ist es aus unserer Sicht essenziell und auch ethisch geboten, Entscheidungen auf Basis fundierter Informationen zu treffen. Die sorgfältige Prüfung bedeutet kein Vorenthalten von Therapien, sondern verantwortungsvolles Handeln im Sinne der Solidargemeinschaft. Entgegen der im Vorfeld der Einführung verbreiteten Behauptung, das Bewertungsboard verzögere den Zugang zu Innovationen, zeigen die ersten Erfahrungen ein anderes Bild: Sowohl die HTA-Berichte als auch die gesamten Bewertungsboard-Prozesse wurden zum Teil noch vor der Zulassung oder Markteinführung dieser Therapien, jedenfalls aber zeitnah danach, abgeschlossen.
Nach einem halben Jahr Erfahrung lässt sich aus Sicht des AIHTA sagen: Die Erstellung qualitativ hochwertiger HTAs nach internationalen Standards ist angesichts der zeitlichen Rahmenbedingungen eine große Herausforderung – die Investition macht sich jedoch durch den Mehrwert, den qualitätsvolle Bewertungsunterlagen schaffen, mehr als bezahlt. Es bleibt zu hoffen, dass die Unternehmen künftig auch noch ihrer Verpflichtung nachkommen werden, aussagekräftige Wirtschaftlichkeitsanalysen zu liefern, um die Gesamtbewertung abrunden zu können.
Dr. rer. soc. oec. Ingrid Zechmeister-Koss – Geschäftsführerin des Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA)
Erratum: Die korrekte Anzahl der Bewertungsboard-Mitglieder ist 25